Exotismen haben schon in früheren Jahrhunderten fasziniert. Heute ist mit dem neuen, fremdartig anmutenden «input» zugleich die Gefahr verbunden, dass in einer immer kleiner werdenden Welt die Chancen für das «Andere» schwinden, dass kulturelle Minoritäten wie auch Sprachen und Dialekte in absehbarer Zeit bestenfalls assimiliert werden, wenn weder regionale Selbstbehauptung noch intensive Pflege Schutz gewähren. Insofern hat es der hohe Norden auf den ersten Blick noch gut – doch auch hier hat der Wandel längst begonnen.
Insofern wirkt der Liederzyklus The Earth, Spring’s Daughter der finnischen Komponistin Outi Tarkiainen wie eine Momentaufnahme, gerichtet auf die Landschaft nördlich des Polarkreises und die kulturelle Identität der über die Staatsgrenzen hinweg siedelnden Sami. Archaisch wirken die samischen Verse (Texte von Rose-Marie Huuva, Rauni Magga Lukkari, Timo Malmi, Aila Meriluoto, Leena Morottaja und Nils-Aslak Valkeapää), ihre fernen Laute zeugen zugleich von einer unverbrauchten Kraft – hier in einen Zyklus von sieben Orchesterliedern übertragen (mit ergänzendem Prolog und Epilog).
Tarkiainen nimmt dieses poetische Potenzial in ihre eigenständige musikalische Sprache auf – freitonal fließend, in der Harmonik differenziert ausgehört, spannungsreich orchestriert und von einer Farbigkeit, die landschaftlich inspiriert bildhaft erscheint. Diese Sprachmächtigkeit findet in dem Saivo überschriebenen Saxophonkonzert ihre Fortsetzung, nun auch mit eingeschriebenen akustischen Effekten, wenn einzelne Töne oder ganze Passagen des Solos in fünf Sätzen nachhallen und damit den «heiligen See» in seinen Facetten klanglich spiegeln. Ihre Originalität zieht diese Musik vor allem aus den eher statischen Partien, vor allem aber versteht sie sich als zeitgenössische Mittlerin der ihr zugrunde liegenden literarischen und kulturellen Quellen.
Outi Tarkiainen. The Earth, Spring’s Daughter (2014–2015), Saivo (2016)
Virpi Räisänen (Mezzo), Jukka Perko (Saxophon), Lapland Chamber Orchestra / John Storgårds
Ondine ODE 1353-2 (2018, 2019)