29. März 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Johann Sebastian Bach

Johann Sebastian Bach

Wohl selten nur hat eine Edition die Gegenwart der jüngsten Vergangenheit so eindrücklich dokumentiert. Hier ist es jenes Konzert zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens, das am 12. Februar 2021 mitgeschnitten wurde, ohne Auditorium über die Bühne der Semperoper ging, dann aber doch erst am 7. Januar 2022 auf CD erschien. Wir werden sicherlich noch etwas länger mit den Nachwehen solcher Lockdown-Produktionen zu tun haben. Es ist aber schon erstaunlich, wie weit diese Zeit bereits jetzt zurückzuliegen scheint. Jedenfalls mutet die Einspielung nach nur 16 Monaten beinahe historisch an: vom

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Friedrich Christian Samuel Mohrheim

Friedrich Christian Samuel Mohrheim

In der Bach-Forschung ist Friedrich Christian Samuel Mohrheim (1719–1780) kein gänzlich Unbekannter – freilich weniger als späterer Kapellmeister an der Danziger Marienkirche, denn in jungen Jahren ab 1733 als offenbar brauchbarer Schüler an der Leipziger Thomasschule, wo er sich im Hause Bach durch prominente Abschriften als Kopist hervortat, darunter Kantaten und die Matthäus-Passion. Umso überraschender ist es, wie lange es dauerte, bis endlich (und bezeichnenderweise als Danziger Initiative) wenigstens einige der wenigen erhalten gebliebenen ungedruckten Kompositionen Mohrheims eingespielt vorliegen. Die von MDG produzierte Serie Musica Baltica muss sich keineswegs ob

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Ukrainian Piano Quintets

Ukrainian Piano Quintets

So leicht man sich heute tut mit nationalen Identitäten, die im 19. Jahrhundert gewachsen sind und in staatliche Strukturen mündeten, so schwer fällt dies für viele Kulturen im östlichen Europa, die durch das russische Zarenreich und danach nochmals im Stalinismus unterdrückt wurden. Erst die unverhoffte späte Selbstbestimmung seit den 1990er Jahren führte zum Anknüpfen an ältere Traditionen und damit auch zur Suche nach dem eigenen Erbe und eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Dass diese Suche nicht erst seit Februar 2022 bedroht wird, zeigt sich aktuell am breiten Strom des Dnipro, aber auch in

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Charles Villiers Stanford

Charles Villiers Stanford

Eigentlich sollte Charles Villiers Stanford (1852–1924) auf der Landkarte der musikalischen Spätromantik kein weißer Fleck mehr sein. Zwar ist der gebürtige Ire in die englische Musikgeschichte vor allem als Lehrer einer neuen Generation eingegangen; zu seinen Schülern zählen u.a. Gustav Holst, Ralph Vaughan Williams, Arthur Bliss, Frank Bridge, George Butterworth, Thomas Dunhill, Herbert Howells und John Ireland – ein Who’s Who der britischen Komponisten nach der Jahrhundertwende. Doch Stanford selbst? Wer nicht neugierig war und den CD-Markt der letzten drei Dekaden aufmerksam verfolgt hat, an dem dürfte seine sehr interessante,

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Kuhlau / Malling

Kuhlau / Malling

Obwohl bereits einzelne Werke im ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden (es sei nicht nur an die beiden singulären Werke von Wolfgang Amadeus Mozart erinnert, sondern auch an solche aus Mannheim oder beim frühen Beethoven), erlebte das Klavierquartett erst im weiteren 19. Jahrhundert seinen Durchbruch als Besetzung – wenn nicht gar satztechnisch als Gattung. Die Kombination von Klavier und Streichtrio geht mit der Viola klanglich zwar weit über die klare Konstellation eines Klaviertrios hinaus und erreicht (auf der anderen Seite) doch noch lange nicht den aus der Kammermusik heraustretenden sinfonischen Sound eines

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Josef Schelb

Josef Schelb

Die Musik des Komponisten Josef Schelb (1894–1977) dürfte bisher den wenigsten überhaupt einmal begegnet sein. Kaum etwas aus seinem umfangreichen Œuvre liegt eingespielt vor – dabei ist sein Schaffen mit Opern, Balletten, nicht weniger als 11 Sinfonien, weiteren Kompositionen für Orchester, Kammer- und Klaviermusik sehr breit aufgestellt. Noch dazu hat Schelb eine sehr eigene musikalische Sprache entwickelt, die sich fast jeder Schubladisierung entzieht – was ihn wirklich interessant macht: Sie verfügt über eine gewisse französische Farbigkeit wie auch über eine polyphone Führung der Stimmen. Harmonisch frei, bleibt Schelb gleichwohl der

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Michael G. Fischer

Michael G. Fischer

Natürlich ist das klassische Klavierquartett nicht ohne Mozart zu denken – sowohl in g-Moll (KV 478) wie auch in Es-Dur (KV 493). Diese Werke aus den Jahren 1785/86 waren zwar zunächst nicht sonderlich erfolgreich, doch haben sie kräftige Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen. Von diesen Spuren profitiert auch das Opus 6 von Michael Gotthard Fischer (1773–1829). Er war ein Komponist, der kein großes schöpferisches Erbe hinterlassen hat, aber (ausgebildet von Johann Christian Kittel) in Erfurt das Musikleben seiner Zeit maßgeblich mitbestimmte. Dass sich Fischer ab 1810 kompositorisch offenbar auf die

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Weinberg / Gidon Kremer

Weinberg / Gidon Kremer

Schostakowitsch hielt Weinbergs Violinkonzert für ein «überragendes Werk im wahrsten Sinne des Wortes.» In der Tat handelt es sich nicht nur nach Umfang und Aufbau, sondern auch wegen der komponierten Ausdruckscharaktere um eine Partitur, die zeitloses Gewicht hat. Während der Sommerfrische 1959 ist sie auf einer Datscha in Nikolina Gora für den russischen Geiger Leonid Kogan entstanden, der das Werk 1961 unter Gennadi Roschdestwenski zur Uraufführung brachte – mit virtuoser Geste und einer unglaublichen Motorik im ersten Satz (wie man noch heute hören kann). 60 Jahre später mag man angesichts

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Weinberg / Elisaveta Blumina

Weinberg / Elisaveta Blumina

Weinbergs Klavierquintett op. 18 ist in den letzten Jahren gleich mehrfach eingespielt worden – nicht weil die ins Sinfonische gehende satte Besetzung plötzlich Konjunktur bekommen hätte, sondern weil es fraglos eines der persönlichsten Werke ist. 1944 entstanden, verleiht Weinberg hier nicht nur seiner Trauer Ausdruck: Während er im Alter von 20 Jahren mit Beginn des Krieges 1939 aus Polen über Minsk nach Taschkent fliehen konnte, wurden die Eltern und die Schwester erst im Ghetto interniert und schließlich im Konzentrationslager ermordet. Mehr noch steht diese Komposition für das Leiden in einer

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Weinberg / Gidon Kremer

Weinberg / Gidon Kremer

Das im editorisch bestens betreuten Booklet abgedruckte Statement von Gidon Kremer macht unmissverständlich klar, dass es sich bei diesem Album um eine sehr persönliche Angelegenheit des Interpreten handelt. Denn Kremer transkribierte die 1968 entstandenen, mit der symbolträchtigen Opuszahl «100» versehenen 24 Präludien für seine Violine. Ursprünglich für Violoncello geschrieben und Mstislaw Rostropowitsch gewidmet (der das Werk allerdings nie aufführte), handelt es sich um ein ausdrucksstarkes Kompendium, das sich nahtlos in die Reihe vergleichbarer Werke der Vergangenheit einreiht. Unbestreitbar berückt die Aufnahme aus dem Jahre 2017, und sie vermittelt auch ein

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Weinberg / Amadeus Chamber Orchestra

Weinberg / Amadeus Chamber Orchestra

Manchmal lohnt der Blick auf den schmalen Rücken eines Digipacks. Dort trifft man nämlich beim vorliegenden Album überraschenderweise auf den Begriff «Chamber Music» – eine Bezeichnung, die angesichts der eingespielten drei Werke in bemerkenswerter Weise missverständlich ist. So geht zwar die Kammersinfonie Nr. 1 auf das Streichquartett op. 3 zurück, fasst aber mit der veränderten Besetzungsgröße die Faktur vollkommen anders auf. Grundsätzlich Ähnliches gilt auch für die Kammersinfonie Nr. 3 (1991), eine der letzten vollendeten Kompositionen Weinbergs, die sich umgekehrt wiederum als Streichquartett denken ließe (und damit sicherlich noch mehr

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Arcadia Quartet

Weinberg / Arcadia Quartet

Mieczysław Weinberg (1919–1996) und seine herausragende Musik mussten in den beiden letzten Jahrzehnten erst (wieder)entdeckt werden. Dies gilt für alle Gattungen gleichermaßen – von der Oper über die Sinfonie bis hin zur Kammermusik, selbst für das Streichquartett. Auch wenn inzwischen zahlreiche Einspielungen vorliegen, so finden sich seine Kompositionen kaum regelmäßig auf den Programmen etablierter Häuser, Orchester, Ensembles oder Solisten (nur wenige ausgenommen) – vermutlich wird Weinberg sogar noch immer als «Geheimtipp» gehandelt. Ein wenig zeugt davon auch das sympathische Statement des Arcadia Quartets im Booklet dieses Albums, aus dem sowohl

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