30. Oktober 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Jazzissimo

Jazzissimo
Jazzissimo
Ein Album, dessen Titel am Ende etwas zu kurz greift. Denn ob wirklich alles «Jazzissimo» ist, darf man am Ende für sich entscheiden. Was ist beispielsweise an der Carmen-Fantasy von Alexander Rosenblatt «Jazz» – oder doch «nur» Kolorit? Will man die zweite Violinsonate von Maurice Ravel wirklich allein unter dem Etikett «Jazz» subsumiert wissen? Wohl kaum. Und die bekannte Nummer Le boeuf sur le toit von Darius Milhaud lässt sich auch mit einem großen Anteil «à la» hören. Und so kommt wieder die Frage: Was wurde zu welchem Zeitpunkt als «Jazz» verstanden? Und was verstehen wir heute darunter, auch in Bezug auf ältere Kompositionen?

Glücklicherweise gibt dieses Album nicht nur Fragen auf. Denn Matthias Well und Lilian Akopova wissen abseits möglicher Antworten zu begeistern. Gerade Ravels Sonate atmet eine Frische und Freiheit, die ich so lange nicht mehr gehört habe. Das Stück lässt sich in dieser Einspielung in jedem Satz neu entdecken, auch dank einer sehr aufmerksamen und gut ausgehörten Mikrophonierung, der der Ausgleich zwischen unmittelbarem Klang und Räumlichkeit vorbildlich gelingt. Chapeau! Die dramaturgische Korrespondenz zwischen der Carmen-Fantasy und der Nummer aus Gershwins Porgy and Bess ist ohrenfällig, aber bei einer Spielzeit von gerade einmal 49 Minuten hätten sich wohl auch noch andere Werke gefunden und einpassen lassen. Wem das Programm reicht, der kann sich an einem farblich sehr fein differenzierten Ton (Violine) und einer in jedem Takt eigenständig präsenten Begleitung am Klavier erfreuen. Empfehlung!

Jazzissimo. Jazz in Classical Music
Alexander Rosenblatt. Carmen-Fantasy (1994); Astor Piazzolla. Nightclub 1960 aus: «L’histoire du Tango» (1985); Maurice Ravel. Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 M. 77 (1923/27); George Gershwin. My Man’s Gone Now aus: Porgy and Bess (1934/35); Vladislav Cojocaru. Kaleidoscope (2020); Darius Milhaud. Le boeuf sur le toit op. 58b (1919)
Matthias Well (Violine), Lilian Akopova (Klavier)

Genuin GEN 22792 (2021, 2022)

HörBar<< jazz – Akhunov / Poulenc / Messiaen

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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This entry is part 4 of 4 in the series HörBar #168 – jazzy

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