
Noch ein Album mit Musik von den Münchner Hochzeitsfeierlichkeiten aus dem Jahre 1568 – und doch mit einem ganz anderen Ansatz. Denn Eric Rice erklärt, dass ihn eigentlich ein ganz anderes Interesse motivierte, sich mit dem damals aufgeführten Repertoire auseinanderzusetzen: «This recording originated from my curiosity about the moresca, an Italian musical genre that caricatured Black Africans. I wanted to know where, how, and for whom these pieces were performed; this recording of four vignettes from a 16th-century wedding is the result.» Entsprechend hoch setzt der weitere Kontext an («In this recording, I aim to show the presence of Black Africans in several 16th-century European musical works, to demonstrate how these works were used, and to invite our listeners to consider their various purposes, including the perpetuation of the white superiority myth.») und wird sogar noch darüber hinaus in einen generellen Diskus geführt: «This performance of Lassus’s moresche in something like their original context does not constitute an endorsement of the views expressed in them, nor does it represent unambiguous advocacy for them as works of art. Though these pieces have been recorded before, little regard has been paid to the original context in which they were created and performed. This recording seeks to address that.»
Endlich beim Programm und damit bei der Musik selbst angekommen (diese Besprechung soll nicht wissenschaftlicher werden, als es das Booklet ist), verflüchtigen sich diese Überlegungen allerdings. Weder wird erklärt, wie sich Villanella, Moresche und Canzone musikalisch unterschieden (die betreffenden Stücke wurden aus dem erst 1581 erschienenen Libro de villanelle, moresche, et altri canzoni entnommen), noch wurden weitere Überlegungen zu diesem Repertoire angestellt. Auch treten zu den Moreschen, die nach den im Druck veröffentlichten Aufzeichnungen des Sängers Massimo Troiano 13 Tage nach dem Altargang in der Hochzeitskammer aufgeführt wurden, keine weiteren Werke dieses Genres hinzu, um es kulturgeschichtlich weiter zu fassen und greifbarer zu machen. Stattdessen wird auch geistliche Musik vom Ende der Hochzeitszeremonie aufgenommen: Dabei hat das Te Deum laudamus nicht weniger eine tiefe Bedeutung für die höfische und damit herrschaftliche Repräsentation. – Die Aufnahme selbst ist überzeugend, auch wenn beim Te Deum die Polyphonie der Stimmen in der Akustik des Raums zunehmend verschwimmt. Das weltliche Repertoire wurde direkter eingefangen, zeigt so aber auch die eine oder andere kleine Schwäche in der Intonation und Phrasierung.
Le nozze in Baviera
Music for the 1568 Wedding
Orlando di Lasso. Te Deum laudamus à 6; Gratia sola Dei à 6; Álla la pia calia à 4; Canta, Georgia, canta à 6; Hai, Lucia, bona cosa à 4; Lucia, celu, hai biscania à 4; O Lucia, miau à 3; Cathalina, apra finestra à 6; Chi chilichi à 6; Matona, mia cara à 4; Se sì alto pôn gir mie stanche rime à 5; Mi me chiamere à 5; Par ch’hai lasciato à 4; Zanni! Piasi, Patrò? à 8; Filippo Azzaiolo. Chi passa per ’sta strada
Ensemble Origo, Eric Rice
Naxos 8.579063 (2016)