Thibault CauvinBach geht immer. Man kann seine Musik emotional betrachten oder in dem kontrapunktisch verwobenen Liniengeflecht etwas Besonderes entdecken. Am Ende ist es die universelle Abstraktheit der Komposition, die sie auf wohl allen erdenklichen Instrumenten realisierbar macht – vom Akkordeon über den Synthesizer bis hin zur Gitarre und weit darüber hinaus. Johann Sebastian Bach selbst hatte wohl auch die Laute in der Hand und improvisierte – wichtig: privatim!) mit Silvius Leopold Weiss (1787–1750) um die besseren Ideen, wie Johann Friedrich Reichardt verspätet zu berichten weiß (1805): «Wer die Schwierigkeit der Laute für harmonische Ausweichungen und gut ausgeführte Sätze kennt, der muss erstaunen und es kaum glauben, wenn Augen- und Ohrenzeugen versichern, dass der große Dresdner Lautenist Weisse mit Sebastian Bach, der auch als Klavier- und Orgelspieler groß war, in die Wette phantasiert und Fugensätze ausgeführt hat.»
Nun muss man für dieses Album nicht so weit in die Geschichte zurückgreifen, denn es steht gleichsam als letztes Glied in einer langen Reihe durchaus vergleichbarer Projekte – zumal mit dieser Werkauswahl. Sowohl die Einspielung der Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 als auch der Partita d-Moll BWV 1004 erscheinen dabei wenig originell, sonderneher als eine Pflichtübung aus dem unvermeidbaren Repertoire, das irgendwann präsentiert werden muss. Ob sich die damit verbundenen Mühen wirklich lohnen, sei dahingestellt. Denn wo die Originale bereits «überlaufen» sind, sind es erst recht die Arrangements. Vielleicht hätte sich Thibault Cauvin mit einem anderen Programm weiterempfehlen sollen. Nach einem ersten Solo-Album und einer älteren Vivaldi-Scheibe mit den üblichen Verdächtigen war nun offenbar eine Auswahl aus dem Œuvre des Köthener-Leipziger-Genie dran – wo doch so viel andere Original-Literatur eine viel größere Chance geboten hätte. Schlecht beraten und doch gut gespielt. Aber wem hilft das?
Thibault Cauvin – Bach
Johann Sebastian Bach. Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 (Arr. für Gitarre von Thibault Cauvin); Jordan Cauvin. Bach Autrements I (nach BWV 846); Bach Autrements II (nach BWV 1007); Bach Autrements III (nach BWV 855a); Johann Sebastian Bach. Partita d-Moll BWV 1004 für Gitarre (Arr. für Gitarre von Thibault Cauvin)
Thibault Cauvin (Gitarre) Sony 19658784622 (2022)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.