6. Juli 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

forgotten Instrument

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Fast alle Instrumente, die heute weltweit verbreitet sind, haben eine lange Tradition und eine weitgehend standardisierte Form. Dennoch wurden und werden immer wieder neue Instrumente erfunden, so auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Wien. Hier kam es zu einer interessanten Neuentwicklung, dem Arpeggione, der zweifellos auch die Zeit des Biedermeier widerspiegelt. Bei diesem 1823 vorgestellten Instrument handelt es sich um eine Mischung aus Gitarre und Violoncello, also um eine Streich- oder Bogengitarre, die aber auch als Guitarrenvioloncello bezeichnet wurde. Konstruiert wurde das in nur einem Exemplar erhaltene Instrument von dem Wiener Geigenbauer Johann Georg Stauffer (1776–1853), parallel dazu baute Peter Teufelsdorfer (1784–1865) im ungarischen Pest eine ähnliche Guitare d’amour, die auch «Sentimentalgitarre» genannt wurde. 1825 erschien eine Schule zum Selbststudium des Arpeggione von Vincenz Schuster im Druck, doch durchsetzen konnte sich das Instrument nicht – es geriet vielmehr bald in Vergessenheit…

… und blieb nur durch Franz Schuberts Sonate a-Moll lebendig. Im November 1824 entstanden, handelt es sich bei dieser Sonate vermutlich um ein Auftragswerk von Stauffer oder Schuster. In der Besetzung mit Arpeggione und Klavier ist die Komposition nur auf Originalinstrumenten denkbar (ein moderner Flügel würde den zarten Ton des «Gitarrencellos» erschlagen, welches daher in der Regel durch ein Violoncello ersetzt wird). Auf diesem Album erfolgt die Substituierung in die andere Richtung, wobei zwei der Sonatinen für Violine und Klavier nun mit Arpeggione in einem vollkommen neuen und interessanten Klanggewand zu hören sind. Die beiden Bearbeitungen (Romberg und Spohr) sind hingegen «original», und stammen aus Vincenz Schusters 1825 erschienener Anleitung zur Erlernung des […] neu erfundenen Guitarre-Violoncells. Das sehr kammermusikalisch aufgenommene Album gleicht einem 1. Klasse-Ticket bei einer Exkursion. Von Martin Zeller & Friends hervorragend gespielt, zeigen sich die Stärken des Instruments vielfach gerade dort, wo sich die Linien kantabel gestalten. Der etwas raue, näselnde Ton erinnert dabei an einen runden Bariton – das Arrangements von Schuberts Ständchen wirkt wie ein selbstgesungener Abschied.

Arpeggione. A forgotten Instrument
Franz Schubert. Sonate für Arpeggione und Fortepiano a-Moll D 821; Sonatine D-Dur D 384 (arr. für Arpeggione und Fortepiano); Sonatine g-Moll D 408 (arr. für Arpeggione und Fortepiano); Ihr Bild aus: Schwanengesang D 957 (arr. für Arpeggione und Fortepiano); Ständchen aus: Schwanengesang D 957 (arr. für Arpeggione, Fortepiano und Gitarre); Bernhard Romberg. Adagio aus: Konzert für Violoncello und Orchester op. 3 (arr. für Arpeggione, Fortepiano und Gitarre); Louis Spohr. Polacca aus: Faust (arr. für Arpeggione, Fortepiano und Gitarre)
Martin Zeller (Arpeggione), Giorgio Paronuzzi (Fortepiano), Victor Castillo Luna (Gitarre)

Prospero PROSP 0079 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #160 – forgotten music

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