22. Juli 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Annea Lockwood – The Piano Works

Xenia Pestova Bennett / Annea Lockwood: The Piano Works
Xenia Pestova Bennett / Annea Lockwood: The Piano Works

Was sich auf den ersten Anschein hin anhört, als handele es sich bei diesem Album um so eine typische Platte mit Klaviermusik, so wie man es Millionen dieser Art gibt, erweist sich nach einer Sekunde des Hörens als Irrtum. Die erste Assoziation war: Hääh? Klänge von Walen? Dann und wann gibt es so etwas wie eindeutig dem klassischen Klavier zuzuordnende Töne, wenn Klaviersaiten gezupft werden. Ein großes Arsenal möglicher Präparationen des Instruments wird durchgespielt – also der Möglichkeit nach, nicht im Sinne eines: «Was geht?»

Herausgekommen ist da eine Musik, die anscheinend völlig losgelöst ist von den ebenso typischen traditionellen Modellen der formalen Gliederung, sondern die dem nachhorcht, was sie jeweils aus dem gerade Eststehenden antreibt. Aber es handelt sich gleichwohl um Kompositionen, nicht um ein frei flottierendes Spiel aus und mit Improvisationselementen. Gerade bei der ersten Nummer rätselt der Rezensent, wie das wohl notiert worden sei. Zu «Ear-Walking Woman» von 1996 liest man von der Komponistin: «It is a collaboration in which the player is using various tools such as bubble wrap, a pestle, stones, small wooden balls etc. I ask her to listen closely to the sounds created by each action, exploring the new sounds which always arise when she uses a little more pressure, a slightly different wrist position or timing, a different make of piano. I call this ‹ear-walking›.» Das klingt nach einer bemerkenswerten Abhängigkeit zwischen Komposition und Interpretation (Xenia Pestova Bennett). Und wie mir scheint, greift das auch noch in die Klangnachbearbeitung mit ein, weil die Hallräume manchmal für kurze Zeit extrem verengt wirken. Grundsätzlich sind die Piano-Inside-Werke eher locker in ihrer Klangdichte aufgebaut, damit die jeweils erzeugten Klänge zur Entfoltung ihrer vollen Wirkung immer wieder einen weiten Nachklang für sich beanspruchen.

I call this ‹ear-walking›

Für das letzte Stück «Ceci n’est pas un piano» von 2002 kann man Ähnliches behaupten, nur dass hier auch noch die Stimme zum Klavier als Sprachgenerator hinzutritt: «I want to acknowledge that, asking Xenia to talk about her hands and about pianos she owns and loves, then weaving her recorded thoughts and memories into the sonic flow, eventually directly through the piano’s resonance, merging her voice with her instrument.» Über die gesamte Zeit wandelt sich der Sprachklang durch Verzerrungsstufen zum Klavierklang hin, der zwischendrin auch mal ganz untypisch typisch klingen darf.

Seltsam? Nicht für ein Label wie Unsounds Records, das sich auf zeitgenössische Musik und «EXPERIMENTAL IMPROVISATION SOUND ART» spezialisiert hat.


Xenia Pestova Bennett / Annea Lockwood: The Piano Works [2025]

  • Xenia Pestova Bennett – Piano

CD Unsounds Records 88U (VÖ: 20.06.2025)

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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hoerbar_nmz

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