26. Juni 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Orgel + Violoncello

Orgel + Violoncello
Orgel + Violoncello
Schon die Liste der eingespielten Sätze und Werke verrät es: Hier steht die Andacht im Vordergrund. Und tatsächlich bestätigt sich dieser Eindruck beim Lesen des informativen Booklets. Die darin vorgestellten Kompositionen für Violoncello und Orgel erscheinen heute wie eine abseitige Nische des Dresdner Musiklebens des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wobei sie damals offenbar präsenter waren, als man vermuten kann. „Spezialist” für diese außergewöhnliche Besetzung war Oskar Wermann (1840–1906). Er stammte aus einfachen Verhältnissen und musste sich vieles mühsam erarbeiten, um im Alter von 36 Jahren zum Kreuzkantor berufen zu werden. Einer seiner Lehrer (und Freunde) war Gustav Merkel, der als Organist der katholischen Hofkirche wirkte. Vor allem Wermann schuf ein kleines, sehr schönes Repertoire an melodisch fließenden Stücken, die übrigens ganz ohne Süßtabletten oder Zuckerwatte auskommen.

Dass diese Werke überhaupt wiederentdeckt wurden, ist Hannah Vinzens und Gordon Safari zu verdanken, die auf der Suche nach Originalkompositionen für ihr Duo waren. Ob man dann gleich von einer «Dresden Tradition» sprechen muss, sei allerdings dahingestellt, denn dafür reicht die Anzahl der Werke nicht aus. So musste auch auf diesem Album Orgelmusik ergänzt werden, beispielsweise durch die gut durchkomponierte Fuge über BACH von Gustav Merkel (1827–1885). Akustisch ausgewogen aufgenommen, überzeugt Hannah Vinzens auf ihrem Instrument mit tenoralen Linien (die Charakterstücke erklangen einst auch in genau dieser Scharnierfunktion), während Gordon Safari die restaurierte Jehmlich-Orgel (Dresden-Strehlen, 1905) in ihren zahlreichen grundtönigen Facetten zum Strahlen bringt. Ein Album mit musikalischen Trouvaillen aus dem wunderschönen Elbflorenz.

Wermann / Merkes / Reger. Sämtliche Werke für Violoncello und Orgel
Oskar Wermann. Zwei Vortragsstücke op. 92; Präludium und Fuge über die Töne des Glockengeläuts der Kreuzkirche zu Dresden (E, G, A, H, D) op. 146/2; Zwei Stücke op. 72; Sonate für Violoncello und Orgel g-Moll op. 58; Largo religioso F-Dur op. 24; Gustav Merkel. Arioso C-Dur op. 55; Adagio religioso F-Dur op. 114; Fuge über BACH op. 40; Max Reger. Aria C-Dur op. 103a
Hannah Vinzens (Violoncello), Gordon Safari (Orgel)

MDG 903-2206-2 (2020)

HörBar<< Orgel + Blockflöte

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden - entweder täglich oder mit den Rezensionen der vergangenen Woche am Sonntag.

Liste(n) auswählen:
DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #159 – Orgel plus

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden..