
Zumindest bei neueren Einspielungen von Passionsmusiken ist eine Tendenz weg von Bach und hin zu Werken der Empfindsamkeit zu beobachten – also in eine Zeit zwischen den großen Epochen, in der auch Rosetti zuhause ist als ein Komponist, der seit vielen Jahren beim Label cpo kontinuierlich Beachtung findet und dessen Werke durch herausragende Interpretationen zu neuem Leben erweckt werden. So auch das zu seiner Zeit weit verbreitete (und bei Artaria gedruckte) Oratorium Der sterbende Jesus nach Versen von Karl Friedrich Bernhard Zinkernagel. Es erklang erstmals am Karfreitag 1785 (also vor 240 Jahren) in der Wallersteiner Pfarrkirche – nur ein Jahr nach Mozarts sechs Wiener Streichquartetten und ein Jahr vor Le nozze di Figaro. Vorausgesetzt wird die Kenntnis der Passionsgeschichte, von der reflektiert und zugleich in intimer Emotionalität erzählt wird. Die vorliegende Interpretation nimmt diesen Ton auf, akzentuiert in den Rezitativen aufführungspraktisch die traditionellen Elemente, stellt aber in den Arien, Duetten und Chören mit feiner Sensibilität den neuen expressiven Ausdruck in den Vordergrund. Das Solistenquartett wie auch das Ensemble L’arpa festante waren für die Produktion (und die vorangegangene Live-Aufführung) bestens vorbereitet, das offenbar als (lokaler?) Projektchor agierende Vokalensemble BeckerPsalter klingt mir zu offen.
Antonio Rosetti. Der sterbende Jesus
Anna-Lena Elbert (Sopran), Anne Bierwirth (Alt), Georg Poplutz (Tenor), Daniel Ochoa (Bass), Vokalensemble BeckerPsalter, L’arpa festante, Johannes Moesus
cpo 555 567-2 (2022)