15. April 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Demantius / Ensemble Polyharmonique

Demantius / Ensemble Polyharmonique
Demantius / Ensemble Polyharmonique
Für gewöhnlich denkt man sich in der Kar-Woche die Passion Jesu Christi musikalisch in den Vertonungen von Johann Sebastian Bach – Kompositionen, die einem in ihrer Dramatik vertraut geworden sind. Dass seine Vertonungen des biblischen «Krimis» aber nur eine Möglichkeit darstellen, genauer: eine Möglichkeit aus den 1720er und 1730er Jahren, ist wohl nur wenigen bewusst. Denn es gibt geschichtlich ein «Davor» ebenso wie ein «Danach». Spätere Vertonungen (darunter die von Kurt Thomas, Ernst Pepping und Krzysztof Penderecki) sind vielleicht geläufiger als die frühbarocken Passionen von Johann Theile und Johann Meder – oder eben (nochmals früher) die des in Freiberg wirkenden Christoph Demantius (1567–1643).

Dessen Johannespassion von 1631 ist eine sogenannte Figuralpassion – polyphon durchkomponiert, noch ohne die uns so vertrauten Rezitative, Arien und Chöre. Ohne Zuordnung zu einzelnen Personen wird der Evangelientext polyphon (motettisch) durchkomponiert – und hat dabei ohne weitere Dichtung eine erstaunliche Konsistenz und erzählerisches «Tempo». Zudem handelt es sich bei diesem Album nicht um eine Einspielung der von Demantius vertonten Passion, sondern um eine Art Pasticcio, kombiniert mit Motetten von Andreas Hammerschmidt, Daniel Selichius, Samuel Scheidt, Johann Hermann Schein und Heinrich Schütz. Die von Alexander Schneider vorgenommene Zusammenstellung erscheint dabei sowohl inhaltlich wie liturgisch stringent und gibt einen hervorragenden Einblick in die Musik an der chronologischen Schnittstelle zwischen der Spätrenaissance und dem frühen Barock mit seiner Italianita. Gesungen von nur sechs solistisch besetzten Stimmen (plus Laute und Orgelpositiv), entsteht eine intime Andacht – vergleichsweise unspektakulär und damit sicherlich auf sehr eigene Art hörenswert.

Christoph Demantius. Johannes-Passion
Christoph Demantius. Weissagung des Leiden und Sterben Jesu Christi; Andreas Hammerschmidt. Ach, Jesu stirbt HaWV 659; Ich leide billig nach meinem verdienten Lohn – Wahrlich heute wirst Du mit mir im Paradies sein HaWV 242; Erbarm dich mein HaWV 139; Unser Herr Jesus Christ HaWV 661; Herzlich lieb hab ich dich HaWV 682; Daniel Selichius. Meine Seele ist betrübt; Christoph Demantius. Passion Nach Dem Evangelisten Johannes; Heinrich Schütz. O Hilf, Christe Gottes Sohn SWV 295; Samuel Scheidt. Herzlich tut mich verlangen; Johann Hermann Schein. O Lamm Gottes unschuldig
Ensemble Polyharmonique, Alexander Schneider

cpo 555 583-2 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 2 in Michael Kubes HörBar #152 – Passionen

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