Tschaikowsky / Orchestre ConsueloSinfonien, Klavierkonzerte, Serenade, Capriccio und «Francesca da Rimini». Leicht lassen sich Tschaikowskys Highlights im Konzertleben listen. Tatsächlich aber hat er noch ein paar Partituren mehr geschrieben, darunter die vier Suiten, von denen wohl nur die letzte, mit «Mozartiana» betitelte, Bekanntheit genießt. Aber die anderen drei? Ich gestehe freimütig, dass diese auch für mich einen weißen Fleck auf der klingenden Landkarte darstellten. Dabei sind die vermeintlich «kleinen» Werke in durchaus gewichtiger Umgebung entstanden: Auf die erste Suite op. 43 (1878) folgen das Klavierkonzert Nr. 2 G-Dur op. 44 und das Capriccio Italien op. 45, auf die zweite und dritte Suite op. 53 (1883) und op. 55 (1884) die Manfred-Sinfonie op. 58 – auf die vierte Suite op. 61 (1887) die Sinfonie Nr. 5 e-Moll (1888). Zu viele Zahlen? Vielleicht, aber sie zeigen, wie die «Lücken» im Schaffen gefüllt sind.
Insofern ist dieses Album mutig, aber auch als eine konsequente Fortsetzung der Einspielung der Serenaden von Johannes Brahms durch das Orchestre Consuelo (2022) zu verstehen. Victor Julien-Laferrière wandelt damit in seiner noch jungen Dirigentenlaufbahn nicht auf den breiten, ausgetretenen Pfaden, sondern sucht das «Andere» am Wegesrand – freilich auf die Gefahr hin, übersehen und überhört zu werden. Denn schon im 19. Jahrhundert haftete der Suite (ebenso wie der Serenade oder der Sinfonietta) der Malus des «Kleinen» und «Unbedeutenden» an. Wie falsch diese Sichtweise ist, zeigt das Album mit diesem jungen Klangkörper, das für beide Werke das Wort ergreift. Denn die sechs bzw. fünf Sätze klingen nach bestem Tschaikowsky, arbeiten sinfonisch, weisen fugierte Abschnitte auf, stilisieren ältere Tanzformen und fügen sich jeweils zu interessanten und kurzweiligen Folgen zusammen (das Album hat eine Spielzeit von ca. 78 Minuten). Nicht aufdringlich eng, sondern atmosphärisch dicht und mit der jeweiligen Situation gerecht werdenden Akzenten ist die Wiederbelebung rundum gelungen. Möge dem Album Erfolg beschieden sein.
Peter Tschaikowsky. Suite Nr. 1 d-Moll op. 43; Suite Nr. 2 C-Dur op. 53
Orchestre Consuelo, Victor Julien-Laferrière Mirare MIR 764 (2023/24)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.