13. Februar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Estonian Premieres / Paavo Järvi

Estonian Premieres / Paavo Järvi
Estonian Premieres / Paavo Järvi
So kahl die baltischen Birken auf dem Cover wirken, so dunkel sind die hier eingespielten Kompositionen, die überwiegend zwischen 2011 und 2021 entstanden. Relativ zeitnah wurden sie vom Estonian Festival Orchestra aufgeführt, doch erst mit dieser knapp einstündigen Kompilation erleben sie ihre CD-Premiere. Kaum einer der Komponisten dürfte auf dem so kulturreichen europäischen Kontinent bekannt sein – und doch sind es Namen, die in Estland hoch gehandelt werden. Ein Widerspruch? Keineswegs. Es ist eher die Frage, wie viel von dem so reichen «Konzert der Nationen» in seiner ganzen Breite wahrgenommen werden kann. Und genau hier hilft das Album (während man beim Streaming eher abgelenkt den Faden verliert).

Natürlich merkt man den Aufnahmen auch den zeitlichen Abstand an. Nicht, dass die Älteren Patina angesetzt hätten. Es ist eher die Akustik, die einen leichten Neben auf das Moonlight von Tõnu Kõrvits (geb. 1969) legt. Die jüngeren Aufnahmen klingen offener und etwas direkter, ohne die erdigen Töne der Werke künstlich aufzuhellen. Selbst die Olympic Music I von Lepo Sumera (1950–2000), die für die Winterspiele 1980 komponiert wurde, ist mit ihren volksmusikalischen Anklängen und aufblitzenden Sibelius-Allusionen (etwa die in Terzen geführten Holzbläser) das genaue Gegenteil einer austauschbaren, billigen Fanfare. Ein Album, das in eine ganz eigene Klangwelt führt – ohne Eduard Tubin, Jaan Rääts und Arvo Pärt.

Tõnu Kõrvits. To the Moonlight (2020); Ülo Krigul. Chordae (2013); The Bow (2021); Helena Tulve. L’ombre derrière toi (2011); Tauno Aints. Estonia Overture (2012); Lepo Sumera. Olympic Music I (1980)
Estonian Festival Orchestra, Paavo Järvi

Alpha ALP 863 (2012–2014, 2020, 2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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