4. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Paavo Järvi / Pelleas und Melisande

Paavo Järvi / Pelleas und Melisande
Paavo Järvi / Pelleas und Melisande
Passend zum Schönberg-Jubiläumsjahr wurde diese Aufnahme gleichsam aus dem Archiv oder der Schublade gezogen. Wer das Kleingedruckte im Booklet liest, findet als Datum dieser Aufnahme die Jahre 2012 und 2014. Dass diese Einspielung mehr als ein Jahrzehnt auf dem Buckel hat, hört man ihr allerdings nicht an. Der naheliegende Vergleich mit einem guten Wein, der im Barrique gereift ist, mag natürlich nicht ganz so stimmig (so schön er auch wäre): Während sich der Wein in einem guten Fass durch chemische Prozesse entwickelt, bleibt eine digitale Aufnahme so lange sie liegt ewig gleich. Festgehalten wird, was erklungen ist – nur der Tonmeister kann mit Schnitt und Mischpult die Bits und Bytes ein wenig aufwerten.

Es gehört zu den Aufgaben und Chancen öffentlich-rechtlicher Rundfunkorchester, nicht immer nur für das eine Konzert zu spielen. In allzu schnelllebigen Zeiten wird der Wert eines Archivs leider oft als gering und verzichtbar angesehen. Dabei gab es einmal mit der Archiv Produktion sogar ein Label, das als experimentell und hochaktuell galt. Das ist lange her. Was auf diesem Album von Paavo Järvi und dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt festgehalten wurde, ist jedoch eine Veröffentlichung wert. Auch wenn ich mir Schönbergs frühe sinfonische Dichtung Pelléas et Mélisande klanglich weitaus süffiger, wenn nicht gar trunkener vorstellen könnte, gelingt Paavo Järvi eine eher analytische Sichtweise, die die Qualitäten der Partitur vor allem beim Lesen offenbart (und ihre unüberhörbare, nicht nur zeitliche Nähe zur Verklärten Nacht). Ungewöhnlich, aber sehr aufschlussreich ist die Kopplung mit Faurés nur wenige Jahre früher entstandener Suite op. 80 aus Pelléas et Mélisande. Eine sehr willkommene Kontextualisierung, die Maeterlincks symbolistisches Drama ein aufleben lässt.

Arnold Schönberg. Pelléas und Mélisande op. 5; Gabriel Fauré. Pelléas und Mélisande op. 80
Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt, Paavo Järvi

Alpha ALP 1058 (2012, 2014)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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