18. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Else Marie Pade

Else Marie Pade
Else Marie Pade
Ein Album als Sensation. So liest sich jedenfalls das Booklet dieser Produktion mit vier Werken der dänischen Komponistin Else Marie Pade (1924-2016), die sich vor allem mit elektroakustischen Arbeiten einen Namen gemacht hat. Folgt man der Argumentation von Henrik Marstal, so waren die hier eingespielten Titel lediglich als Teil des Werkverzeichnisses bekannt, wurden aber von der Komponistin selbst als Partituren kanzelliert (aber nicht vernichtet). Hier beginnen nun allerdings die Probleme – die weder benannt noch aufgelöst werden. So werden im Impressum zwar die beiden Verlage genannt, in denen die Partituren erhältlich sind, nicht aber, ab wann und auf welchem Wege sie den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Die Schlussfolgerung, dass Else Marie Pade diese Werke angeblich in der Schublade aufbewahrt habe, erscheint mir zu pauschal und unbefriedigend. Reichte es Pade wirklich aus, als «elektroakustische» Komponistin gehört zu werden? Waren es tatsächlich Erinnerungen an die schwere Kriegszeit, die in den Partituren verarbeitet wurden?

Natürlich lässt sich zumindest in den Glissandi von Études (1965) das Bild fallender Bomben heraufbeschwören. Doch ist es nur eine Geste in einer Komposition nach 20 Jahren. Eine solche hermeneutische Deutung erscheint mir daher schlicht zu einfach, wenn andererseits von «a small sensation» die Rede ist. Wird hier vor jeder wirklichen, also zunächst neutral zu wertenden Wiederentdeckung ein (altes) Bild durch ein anderes (neues) ersetzt? Fast scheint es so auf diesem «Orchestra Album». Dabei könnte man die Fragen auch ein wenig anders und weniger «unterkomplex» stellen. Wirken die Partituren (auch harmonisch) womöglich «konservativer»? In welchem Spannungsverhältnis stehen die 1953/54 und 1962/65 entstandenen Werke zum elektroakustischen Œuvre? Welche europäischen Entwicklungen gaben den Ausschlag? Warum wird in Parametre einmal mehr ein Streichorchester besetzt? Und kann man beim Concertino für Trompete und Orchester wirklich von einem «twelve-tone style» sprechen? Ich höre in dem Werk ausgesprochen tonale Fixpunkte… Vielleicht sind es genau diese Widersprüche, die zum genauen Hinhören einladen. Das jedenfalls wünsche ich der Musik von Else Marie Pade und diesen engagierten und in ihrer Art sehr ernsthaften Aufnahmen.

Else Marie Pade. Étude (1965); Parametre (1962); Sept Pièces en couleurs (1953); Concertino für Trompete und Orchester (1954)
Christina Åstrand (Violine); Michael Frank Møller (Trompete), Malmö Opera Orchestra, Joachim Gustafsson

dacapo 8.226719

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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