Manchester, Köln, London, New York. Die Stationen der Komponistin Maria Herz (1878–1950) haben musikalisch wohlklingende Namen, und doch war es ihr zeitlebens nicht vergönnt, sich mit ihren Werken dort oder anderswo durchzusetzen. Um überhaupt eine Chance bei Verlagen und Veranstaltern zu haben, stellte sie schließlich ihrem Vornamen den ihres 1920 an der spanischen Grippe verstorbenen Mannes voran: Aus Maria wurde Albert Maria Herz. Offenbar mussten erst 70 Jahre nach ihrem Tod die Rechte auslaufen und der Nachlass in der Zürcher Zentralbibliothek zugänglich werden, um auf sie und ihre Partituren aufmerksam zu werden. Nur fünf frühe Lieder und eine Bearbeitung der Bach’schen Chaconne (aus BWV 1004) für Streichquartett wurden zu Lebzeiten gedruckt, von den übrigen Werken lässt sich nur wenig konkret datieren. Die hier eingespielten Kompositionen entstanden vermutlich alle um 1929/30. Und sie zeigen eine Komponistin mit einer ganz eigenen Sprache, ganz auf der Höhe ihrer Zeit.
Das zeigen bereits die Vier kleinen Stücke für Streichquartett op. 5, die man vielleicht in die erste Dekade des 20. Jahrhunderts verorten könnte – hochexpressiv, nervös, von berauschender Intensität, im Scherzo wie im Adagio. Das Streichquartett h-Moll op. 6 wirkt in der ausgehörten Interpretation des Asasello-Quartetts noch reifer, weil abgeklärter. Der emotionale Drive ist einer nachdenkenden Struktur und Faktur gewichen, die auch kontrapunktische Passagen ganz natürlich erscheinen lassen. Unterkühlter, sachlicher präsentiert sich die Rundfunkmusik für acht Instrumente op. 9, sicherlich auch durch die Verwendung eines Saxophons. Maria Herz ist mit den satztechnischen Anforderungen des neuen Mediums bestens vertraut und setzt die Holzbläser in Szene. Kompositorischer Höhepunkt dieser Produktion sind für mich allerdings die Fünf Lieder nach Gedichten von Stephan George, die sowohl in einer Fassung mit Klavier als auch mit Orchesterbegleitung existieren. Hier erklingen sie jedoch in einer Bearbeitung von Christoph Maria Wagner. Trotz der sicheren Hand des Arrangeurs stellt sich an dieser Stelle dennoch die grundsätzliche Frage: Warum? Bedauerlich ist auch, dass Christiane Oelze bei der Aufnahme nicht in bester stimmlicher Verfassung war und eher unfrei in der Gestaltung wirkt (schon das erste Lied mutet leicht verunglückt an). Dass das Album ausgerechnet mit der Bearbeitung der Bach’schen Chaconne beginnt, dass sie überhaupt eingespielt wurde, ist dramaturgisch nicht nachvollziehbar (bereits 1929 heißt es in einer zeitgenössischen Rezension: «Aber war sie wirklich ein Bedürfnis?») Man hätte die verbleibende Spielzeit der CD wahrlich besser nutzen können, um noch mehr Originäres von dieser großen Komponistin ans Licht zu bringen.
Sterne steigen dort…
Portrait der Komponistin Albert Maria Herz
Johann Sebastian Bach, Chaconne aus: Partita d-Moll BWV 1004 (Arr. für Streichquartett von Albert Maria Herz); Fünf Lieder auf Worte von Stefan George op. 7 (Arr. für Ensemble von Christoph Maria Wagner); Vier kleine Stücke für Streichquartett op. 5; Streichquartett h-Moll op. 6; Rundfunkmusik für acht Instrumente op. 9
Christiane Oelze (Sopran), Asasello-Quartett, E-MEX-Ensemble
Genuin GEN 23837 (2022, 2023)