Können ist nicht gleichbedeutend mit müssen. Und so verhält es sich auch mit dem Ensemble Les Arts Florissants unter der Leitung von Paul Agnew. Äußerlich mag alles passen: Die solistische Vokal- und Instrumentalbesetzung eröffnet in der direkten Akustik einen kammermusikalischen Zugang zu den Werken und ihren Strukturen. Doch gleichzeitig irritieren Ausführung und Interpretation. Oft werden die Tempi so überzogen, dass sie nicht mehr musikalisch berauschen, sondern die Nummern ohne Rücksicht auf die Rezeption wie ein Hurrican vorüberziehen lassen. Auch der Ausdrucksdrang wird fast durchweg so gepresst, so auf die Spitze getrieben, dass er mit Rücksicht auf Text und Sprache einfach nicht mehr «echt» wirkt. Jedenfalls möchte ich persönlich so nicht «noch heute im Paradies sein» (BWV 106). Wer die älteren Aufnahmen unter dem (streitbaren) Reinhard Goebel oder dem eher ästhetisch interpretierenden Joshua Rifkin kennt, wird in der Tat erschrecken. Wer aber jetzt noch immer neugierig ist, sollte sich vor Augen halten, dass es eine Devise des mitteldeutschen Stils des 18. Jahrhunderts war, «cantabel» zu setzen – und also auch entsprechend zu musizieren.
Johann Sebastian Bach. A Live in Music Vol. 1
Early Cantatas. Arnstadt & Mühlhausen (1703–1708)
«Christ lag in Todes Banden» BWV 4; «Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit» BWV 106; «Nach dir, Herr, verlanget mich» BWV 150; Orgelchoräle «Christ lag in Todesbanden» BWV 718; «Ach Herr, mich armen Sünder» BWV 742; «Jesu, meines Lebens Leben» BWV 1107; Johann Kuhnau. «Christ lag in Todesbanden».
Benjamin Alard (Orgel), Les Arts Florissants, Paul Agnew
harmonia mundi HAF 8905364 (2022)
- Bach-Kantaten: Collegium Vocale Gent / Herreweghe
- Bach-Kantaten: Gaechinger Cantorey / Rademann
- Frühe Bach-Kantaten: Les Arts Florissants / Paul Agnew
- Das Neue Orchester / Christoph Spering
- L’Orfeo Barockorchester
Ein wunderschönes Album. Vielen Dank für den Tipp!