16. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Il Ponte di Leonardo / Constantinople

Il Ponte di Leonardo / Constantinople
Il Ponte di Leonardo / Constantinople
Hier sollen Brücken gebaut werden. Das Kuriose daran: das im Jahre 1502 von Leonardo da Vinci entworfene Bauwerk, auf das man sich bezieht, wurde nie errichtet. Mehr noch: Es sollte nicht einmal Orient und Okzident über den Bosporus verbinden, sondern nur die Ufer einer Bucht am Goldenen Horn. Man stelle sich vor, Sultan Bayezid II. hätte das ehrgeiziges Vorhaben verwirklicht: eine 43 Meter hohe freitragende Konstruktion. So etwas wurde erst Jahrhunderte später (wieder) gebaut; eine Miniaturausgabe wurde immerhin als Fußgängerbrücke in Südnorwegen realisiert.

Aber wenn schon die Brücke als Symbol nicht so recht tragen will – wie sieht es dann mit der Musik aus? Es ist ein Album, das so erst in unserem Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts entstehen konnte. Das Interesse an der alten und doch so neuen Musik des Orients ist in (West-)Europa erheblich gewachsen – nicht nur aus Neugier auf das Exotische (immer noch!), sondern auch aus Zweifel an der eigenen Tradition (aus welchen Gründen auch immer). Schon in früheren Epochen war das Interesse an der osmanischen Kultur groß und fand im «alla turca» vielfältigen Ausdruck. Heute müssen zeitgenössische Arrangements der Musik von einst neues Leben einhauchen – auch der Musik der italienischen Renaissance, die hier als kontrastierendes Gegenstück erklingt. Aber am besten vergisst man die historischen und aufführungspraktischen Kontexte. Dann kann diese Einspielung des Ensemble Constantinople ihr Potenzial als interkulturelles Konzeptalbum entfalten.

Il Ponte di Leonardo
Mit Werken von: Agha Mo’men, Bartolomeo Tromboncino, Anonymus, Kiya Tabassian, Ambrogio Dalza, Gian Piero Alloisio
Ensemble Constantinople, Marco Beasley (Gesang), Didem Masar (Kanun), Tanya LaPerrière (Barockvioline, Viola d’amore), Stefano Rocco (Erzlaute, Barockgitarre), Fabio Accurso (Laute), Patrick Graham (Percussion), Marco Ferrari (Flöte), Kiya Tabassian (Gesang, Setar)

Glossa GCD 924503 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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