Benjamin Koppel und sein Ensemble haben sich mit dem neuen Doppelalbum nicht gerade wenig vorgenommen. Es geht um die «Story Of Mankind“, nicht weniger. Was in dessen Zentrum stehe, beschreibt der Infotext folgendermaßen: «Mit einer hochkarätigen Besetzung von Musikern interpretiert dieses Musikstück die Traurigkeit und den Terror des Krieges. Jeden Krieges. Der zu jedem Zeitpunkt der Geschichte, ein Teil der Geschichte der Menschheit zu sein scheint.» Ausgestattet ist diese Doppel-CD mit Bildern aus dem aktuellen Angriffskrieg Russland auf den souveränen Staat Ukraine. Fotograf «Jan Grarup hat die Ukraine seit Beginn des Krieges bereist. Seine Bilder sagen mehr als tausend Worte. Sie haben Koppels Aufmerksamkeit noch mehr auf die schreckliche Absurdität und den verheerenden Verlust von Menschenleben und Ressourcen gelenkt, die das Ergebnis eines jeden Krieges sind.»
Es sei ein Requiem, eine «Messe für die Toten. Aber sie ist auch eine Feier des Lebens, all dessen, was der Mensch als Spezies erreicht hat, und all der Liebe, die das menschliche Herz zu geben vermag. Solange wir uns nur daran erinnern, dies zu tun. Und uns auch immer wieder unsere Geschichte vergegenwärtigen.» Der Ablauf der Einzelstücke mit Gesang organisiert sich im Wechselspiel von längeren Titeln (englisch oder französisch – von Guillaume Apollinaire und Tomas „TT“ Krag), denen sogenannte «Afterthouhts» (dänisch – von Morten Søndergaard) folgen. Das letzte Stück heißt wie das Album «Story Of Mankind».
Ich bin nicht sicher, ob das Album tatsächlich einlöst, was es verspricht. Oder ob nicht die ästhetische Umsetzung durch das Jazzensemble eher das große Thema dann durch seine einerseits Gleichförmigkeit und durch seine Ideenvielfalt in der Summe der Kompositionen unterbietet – also durch Routinen; der Bruch, den der Krieg mit seinen Zerstörungen hervorruft, wird hier musikalisch meines Erachtens zu leicht genommen. Vielleicht muss das so sein. Vielleicht ist es aber auch tatsächlich eine der Möglichkeiten, das wirklich Unerträgliche erträglich in erklingende Kunst umzusetzen. Das müssen letztlich die Hörer:innen selbst entscheiden.
Beispielhaft sei «Toc toc la Dame» von der ersten CD erwähnt: Es beginnt mit einer Art Klangstudie, geräuschhaft mit den Tönen des Cellos im Zentrum, geht in eine Art Song mit dem Text über, wonach eine («übliche») Jazzimprovisationsphase folgt – mit aller Nachdenklichkeit im Tonfall, aber doch in sich selbst und der Spielweise befangen. Danach folgt die Wiederholung des Songs, dann zum Abschluss, die Brückenform nutzend, kommt die geräuschhafte Anfangskomposition in verkürzter Version, als Erinnerungsmoment. Die Brüche in den Gestaltungsmitteln zwischen Song und Klangstudie sowie Jazzpassage tragen zur Irritation und Verschiebung des Gewöhnlichen bei. Aber reicht das aus, wo es doch auch um das Bodenlose – den Krieg und die Geschichte der Menschheit – geht?
Wären da nicht die unterbrechenden und innehaltenden «Afterthoughts», wäre es eine Lyrik-mit-Musik-Sammlung neben anderen. So stehen auch die Fotografien von Jan Grarup dann im Booklet seltsam quer zur Doppelseite in der Mitte des Heftes, das die Musiker:innen im Studio bei der Aufnahmearbeit zeigt.
Benjamin Koppel: Story Of Mankind – A Requiem [2024] – 2 CD
- Benjamin Koppel – alto saxophone
- Randy Brecker – trumpet
- Frederikke Vedel – vocals
- Henrik Dam Thomsen – cello
- Søren Møller – keys
- Johnny Åman – double bass
- Ferenc Nemeth – drums & percussion
Cowbell Music (VÖ 17.05.2024)