18. Januar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Berlin Harpsichord Concertos / Philippe Grisvard

Berlin Harpsichord Concertos / Philippe Grisvard
Berlin Harpsichord Concertos / Philippe Grisvard
Dieses Album des Ensembles Diderot öffnet wieder einmal eine Schatztruhe – und es könnten wohl noch weitere folgen. Denn der Cembalo-Solist Philippe Grisvard gesteht im Booklet, dass die vier eingespielten Werke am Ende eines langen, von Kopfzerbrechen und schwierigen Entscheidungen begleiteten Weges stehen. Es ist tatsächlich ein gewisses Wagnis, in einer Folge von «Berliner Cembalokonzerten» keine einzige Komposition von CPE Bach zu berücksichtigen. Und dennoch kann man aus vollem Herzen sagen: Alles richtig gemacht. Denn auch die Werke von Christoph Nichelmann (1717–1762), Carl Heinrich Graun (1704/05–1759), Christoph Schaffrath (1710–1763) und Ernst Wilhelm Wolf (1735–1792) haben es in sich: Das ist Musik zwischen Barock und Klassik, manchmal galant im Ton, aber nie unverbindlich. Und mehr noch: Wer auf das Backcover schaut, findet wirklich hinter jedem Titel einen Asteriskus – ein Sternchen, das auf eine «Weltersteinspielung» verweist.

Mit fast 78 Minuten ist die technisch mögliche maximale Spielzeit einer CD nahezu ausgenutzt. Und ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass kaum eine Sekunde zur Ablenkung durch anderes anregt. Philippe Grisvard und das Ensemble Diderot unter der Leitung von Johannes Pramsohler unterhalten nicht nur hervorragend, sie haben sich diese Werke auch mit spürbar ernster Gründlichkeit erarbeitet und schließlich ebenso frei im Gestus wie perfekt im Zusammenspiel realisiert. Die vier unbekannten Meister klingen trotz aller individuellen Unterschiede so, als wären sie die Höhepunkte jener Zeit – eine beglückende Hör-Erfahrung, auch wenn klar wird, wie stark Bach Vater & Sohn hier stilistisch Einfluss genommen haben. Zu meinen persönlichen Favoriten sind rasch die Kompositionen von Nichelmann und Wolf avanciert, der eine mit Kontrapunkt und Gesten aus dem «Sturm und Drang», der andere bereits avancierter. Dass die Werke nur solistisch und eben nicht chorisch von einem um den Kontrabass erweiterten Streichquartett begleitet werden, ist ohne Frage als ein weiterer Pluspunkt der Produktion anzusehen. Ob es in naher Zukunft noch eine zwei oder dritte Folge geben wird? Es ist zu hoffen!

Berlin Harpsichord Concertos
Christoph Nichelmann. Cembalokonzert d-Moll; Carl Heinrich Graun. Cembalokonzert D-Dur WVC XIII:72; Christoph Schaffrath. Cembalokonzert c-Moll CSWV:C:11; Ernst Wilhelm Wolf: Cembalokonzert B-Dur
Philippe Grisvard (Cembalo), Ensemble Diderot, Johannes Pramsohler

Audax ADX 11211 (2023)

HörBar<< Bach.Berlin Fundstücke / Schäfer & Hollmann

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #122 – Berlin