6. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Ali N. Askin – up chute

Ali N. Askin – up chute
Ali N. Askin – up chute

Das Album fängt zunächst an wie eine ziemlich gut musizierte Groove-Platte. Man rollt sich ein und fliegt weg. Das ist so gut wie unspektakulär. Also so ein Ding, wie man es immer wieder mal hört. Kannste so nebenbei laufen lassen und alles chic. Aber dann tun sich im Laufe der Zeit doch einige weitere musikalische Welten auf. Es beginnt die Amalgamierung von Groove («Piece #01») und Repetition, von Repetitionen («Francis») und Klangflächen, von Klangflächen («Between The Milky Way») und Sololinien, von Soli und Bläsersets: Die Arbeit mit kleinen Phrasen in Varianten wie in «The Call Of Beauty» erzeugt aus fast banalen Grundgedanken eine Fülle von Schwingungen und Atmosphären. Hier mit der Möglichkeit, dass die einzelnen Musiker für sich ihren Raum beanspruchen können. Der Kipppunkt ist das Titelstück selbst «up chute», das alle kompositorischen Mittel ineinandergießt, die später zum Einsatz kommen, die dann in gewisser Hinsicht später zerlegt werden und mit einem anderen Ergebnis synthetisiert werden. Der Witz dabei, das ist nicht in einer Art Baukastensystem angelegt, sondern als fortlaufender poetischer Strom.

Das Album löst sich immer weiter auf und findet im fast 11-minütigen «Piece #03» seine Akkumulation aus allem. Die Musik wird zum Strom. Zu einer eigenständigen Musik nicht für 11 Musiker, sondern für sechs. Eine Verschlingung von Harmoniewechseln, Variantenheterophonie in den Sololinien der Bläser vermittels elektronischer Selbstverfolgung. Das Stück ist maximal entfernt zur ersten Nummer des Albums und doch lässt es sich im Gesamtzusammenhang quasi ableiten.

Wait! Die letzte Nummer geht noch ein Stückchen weiter «What we forgot to say» dreht den Spieß noch ein Mal um. Ein Klaviersolo recht eigenwilliger Diastematik, später auf Electronicsfeldern, zugleich wieder abfliegend wie melancholisch ausklingend.

Ich gebe zu, anfangs war ich enttäuscht beim Hören der ersten Nummer, die eben einfach «nur» gut war. Man wächst aber im Laufe des Album Stück um Stück zusammen beim Nachhören. Das Tiefhören auf der Energie eines Surfbretts im Wellengang einer detailverliebten Iteration schadet nicht. Man kann sich aber manchmal auch einfach nur wegpusten lassen.


Ali N. Askin – up chute [2023]

  • Ali N. Askin – Piano, Keyboard, Electronics
  • Thomas Stieger – Bass
  • Tilo Weber – Schlagzeug
  • Christoph Titz – Trompete, Electronics
  • Lars Zander – Bassklarinette, Saxophone, Electronics
  • Michael Weilacher – Percussion, Mallets

Yatak Records (VÖ 8.12.2024)

 

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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