21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Alexander Melnikov / Fantasie

Alexander Melnikov / Fantasie
Alexander Melnikov / Fantasie
Die Angaben auf dem Cover entspringen nicht der Fantasie – sie sind selbst fantastisch. Zu hören sind tatsächlich sieben Komponisten und sieben Instrumente. Dass es am Ende acht Werke sind, kann man verzeihen, es spielt auch keine Rolle. Es ist (das sei gleich gesagt) ein Album, wie man es sich nicht besser, instruktiver und verständiger denken kann, und das am Ende zeigt, wie notwendig es ist, Kompositionen für Clavier auf den jeweils zeitgenössischen Instrumenten zu interpretieren – oder zumindest von diesen aus klanglich zu abstrahieren, besonders dann, wenn es ans freie Gestalten geht. Melnikov zeigt dies auf einer fabelhaft schlüssig konzipierten Reise durch ca. 250 Jahre Musikgeschichte, auf der jede Station sitzt. So erklingt Musik von Johann Sebastian Bach auf einem Cembalo nach Ruckers, CPE Bach auf einem Tangentenflügel, Mozart auf einem Hammerklavier nach Anton Walter, Mendelssohn auf einem Graf-Flügel, Chopin auf einem Erard, Busoni auf einem Bechstein und schließlich Schnittke auf einem Steinway.

Auch interpretatorisch handelt es sich um ein Lehrstück, wie mit den unterschiedlichen Farben umgegangen werden kann. Die Anforderungen sind dabei freilich immer wieder andere; vor allem der Tangentenflügel fordert heraus und entfaltet eine unglaubliche Ausdruckstiefe. Dass Melnikov ohnehin eher in der zweiten Hälfte des 18. und im 19. Jahrhundert sein «Zuhause» hat, ist den feinnervigen, spannungsgeladenen Deutungen in jeder Phrase anzumerken. Anders sieht es bei der harmonisch komplexen Chromatischen Fantasie und Fuge von Bach aus, die ich seit 35 Jahren weitaus radikaler und improvisatorischer mit Andreas Staier im Ohr habe (auch mit einem «knackigeren» Instrument). Hingegen fehlt es mir bei Schnittkes Improvisation und Fuge etwas an Poesie; Melnikov geht das Werk zu nüchtern an. Allerdings: Wer unter den Pianist:innen wagt sich an eine vergleichbare Produktion mit derart unterschiedlichen Instrumenten und Stilen? Es ist und bleibt ein Album, das man immer wieder staunend hören wird.

Fantasie. Seven Composers, Seven Keyboards
Johann Sebastian Bach. Chromatische Fantasie und Fuge BWV 903; Carl Philipp Emanuel Bach. Fantasie fis-Moll Wq. 67; Wolfgang Amadeus Mozart. Fantasie c-Moll KV 396; Fantasie d-Moll KV 397; Felix Mendelssohn Bartholdy. Fantasie fis-Moll op. 28; Frédéric Chopin. Fantaisie f-Moll op. 49; Ferruccio Busoni. Fantasia in modo antico op. 33b/4; Alfred Schnittke. Improvisation und Fuge op. 38
Alexander Melnikov (Cembalo, Klavier)

harmonia mundi HMM 902702 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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