21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Howard Arman / Weihnachtsgeschichte

Howard Arman / Weihnachtsgeschichte
Howard Arman / Weihnachtsgeschichte
In einer Zeit, in der das Weihnachtsfest zunehmend im Konsum erstickt und alsbald womöglich endgültig säkularisiert zu werden droht, hat der Dirigent, Chorleiter und Komponist Howard Arman (*1954) eine neue Vertonung der Weihnachtsgeschichte mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks vorgelegt. Ein Werk, an dem vieles anders ist, als man es vielleicht erwartet. Zunächst der zugrunde gelegte Text: Er stammt aus dem Protoevangelium des Jakobus – einer Schrift aus der Mitte des 2. Jahrhunderts, die es nicht in den Kanon des Neuen Testaments geschafft hat, allerdings eine uns heute eher bewegende, weil subjektive Sicht auf die Verheißung, die Geburt und den von Herodes angeordneten Kindermord von Bethlehem bereithält, die fast szenisch angelegt ist und die Protagonisten selbst zu Wort kommen lässt. Dann die Musik: Arman vertonte lediglich den Wortlaut des Protoevangeliums neu, begleitet durch eine Drehleier, deren archaischer Klang entzeitlicht; die interpolierten Choräle und Chöre sind aus dem reichen Fundus der protestantischen Musik des Frühbarock entlehnt.

Dies alles entwickelt in knapp 45 Minuten eine erstaunliche Fülle an Eindrücken und Emotionen, die viele bei der alljährlich wiederkehrenden Rezitation des doch eher beschreibenden Lukas-Evangeliums so schon immer vermisst haben dürften. Es ist eine Geschichte um Maria, wie man sie dichterisch wie musikalisch sonst nur bei Rainer Maria Rilke (und Paul Hindemiths) Marienleben findet, dort kompositorisch «neusachlich» verdichtet, hier nun aber bei Jakobus und Arman dramatisch zugespitzt. Da wird zwischen Maria und Joseph lebhaft vor uns als Zeugen um die (unbefleckte) Empfängnis gestritten, bis der Choral «Nun komm der Heiden Heiland» einsetzt und ein Engel dem Joseph im Traum die wahre Bedeutung offenbart. Wenn Jakobus die Geburt nicht in eine Höhle verlegt hätte – es wäre eine Geschichte «unter Bethlehems Dächern». Und vielleicht deshalb wirkt diese Weihnachtsgeschichte so verblüffend menschlich.

Howard Arman. Weihnachtsgeschichte nach der apokryphen Offenbarung des Jakobus – mit Motetten & Chorälen von Johann Hermann Schein, Nicolaus Zangius, Hieronymus Praetorius, Hans Leo Hassler, Melchior Vulpius; Peter Maxell Davies. O Magnum Mysterium (1960)
Solisten aus dem Chor des Bayerischen Rundfunks, Marije Grevink (Violine), Christiane Hörr (Viola), Lukas Gassner, Hans-Jörg Profanter, Csaba Wagner (Posaune), Max Hanft (Orgel), Béla Szerényi jr. (Drehleier), Chor des Bayerischen Rundfunks, Howard Arman

BR Klassik 900531 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #105 – Weihnachten