So auch bei diesem Album – und dies ausgerechnet bei einem so gewichtigen Werk wie dem Klavierkonzert op. 114 (1910) von Max Reger. Auf nur anderthalb Seiten wird der Versuch einer tour d’horizon unternommen. So kann man Regers Biographie wohl «rasch skizzieren», doch ob seine Persönlichkeit damit erfasst wird? Dass er eine «schlechte Presse» hatte, als Beleg aber Percy Young (1954) herangezogen wird, zeigt eher, dass es vor allem im englischsprachigen Bereich noch immer an gediegener Literatur fehlt. Ob der Autor des Heftchens selbst vom Klavierkonzert überzeugt ist, erscheint mir fraglich; sonst wäre man kaum auf eine Einlassung aus der New York Times von 1950 verfallen («a most inflated pretentious bag of wind») und hätte stattdessen einige wirkliche Hörhilfen gegeben. Künstlerbiographien fehlen ganz.
Die Einspielung mit Joseph Moog und der Deutschen Radio Philharmonie unter Nicholas Milton steht glückicherweise über alldem. Sie überzeugt nicht nur, sondern ist geradezu brillant. Schon die ersten Takte glühen und lassen das bestens präparierte Orchester in der für Reger so notwendigen klanglichen Durchsichtigkeit erscheinen. Moog wiederum pflügt sich nicht nur mit höchster Souveränität durch den anspruchsvollen und Ausdauer fordernden Klavierpart, sondern gestaltet in langen Bögen, deren Ende er immer fest im Blick hat. Hier mäandern keine Motive oder chromatisch durchsetzten Harmonien, hier erscheint die Form durch Formung des Verlaufs. Dass zudem im Kopfsatz die Scharnierstellen zwischen den Ruhepolen und den agitativen Steigerungen «sitzen», verleiht dem Verlauf einen inneren dramatischen Zug, der an keiner Stelle zum vorzeitigen Erliegen kommt. – Die Intermezzi op. 45 mit einer eigenen Spielzeit von mehr als 20 Minuten sind mehr als nur eine Zugabe. Ein Höhepunkt im Reger-Jahr 2023.
Max Reger. Klavierkonzert f-Moll op. 114; Sechs Intermezzi op. 45
Joseph Moog (Klavier), Deutsche Radio Philharmonie, Nicholas Milton
ONYX 4235 (2017, 2018)