Knapp 30 Jahre nach ihrer Aufnahme erscheint diese Doppel-CD mit sechs Sonaten beim Label ECM. Die Kritik ist im Allgemeinen voller Bewunderung.
- «Allein sein Anschlag! Carl Philipp Emanuel Bach auf dem Flügel so zu spielen, dass das Cembalo darin immer durchhörbar bleibt, ist ein großes, sinnliches, zärtliches Vergnügen.» Christine Lemke-Matwey im SWR
- «… Jarrett überzeugt mit anderer mutiger Konsequenz, weil er diese Musik introvertiert, innig und doch in sich schlüssig durchschreitet, ohne Show, ehrlich und empathisch. Offensichtlich hat er die viel zitierten Worte von Carl Philipp Emanuel verinnerlicht, dass ein Musiker selbst gerührt sein müsse, um andere zu rühren. Denn: Keith Jarrett berührt und zeigt einmal mehr eine faszinierende Seite seiner Musikerpersönlichkeit.» Meret Forster im BR
- «„Aus der Seele“, hat Carl Philipp Emanuel Bach geschrieben, „muss man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel.“ Von abgerichteten Vögeln ist in Keith Jarretts musikalischer Miniserie keine Spur. Die ist geradezu demütig in ihrer Präzision, die ist so klar wie ein Bergsee, durch den musikalische Gedanken schwimmen wie schillernde Fische. Und sie ist so schön, dass man sie allen von der Wirklichkeit gegenwärtig Wundgeschlagenenen als Vademecum nur empfehlen kann.» Elmar Krekeler in der WELT
- «Der Fis-Dur-Septnonenakkord ohne Fis, mit einem d als Vorhalt vorm cis am Ende des Moderato der h-Moll-Sonate! So sensationell ist der aus analytischer Nähe besehen nun auch wieder nicht. Aber bei Jarrett steht er da wie eine schöne fremde Blüte.» Volker Hagedorn in VAN
Da kann man fast nichts mehr drüber- beziehungsweise hier drunterschreiben. Nur ein zusätzliches Phänomen, wenn man die Platte öfter hört, kommen einem die Stücke immer bekannter vor. Was sich trivial anhört, ist eigentlich eine zugleich unerhörte Erfahrung. Während man beim ersten Mal als etwas unbedarfter naiver Hörerling (der ich fast immer bin in Sachen Musik jeder Art), auch schon mal etwas gelangweilt ist, insbesondere vom ersten Satz der ersten Sonate, andere Stücke aus der Kollektion aber sofort hörend zünden, ist beim zweiten Mal schon eine Vertrautheit hergestellt, die dann eine weitere Perspektive der Stücke aufdeckt. Wie bei Fotos, wo das gleiche Objekt durch einen anderen Schärfe-Fokus, andere Aspekte des Gegenstands offenlegt. Genau diesen ersten Zugang freizulegen, ist die Kunst. Das scheint hier zu gelingen.
Entdecken Erforschen Hören
Da ist es mir herzlich egal, mit welchem Instrument das gelingt, wenn es denn gelingt. Das scheint wohl hier die Kunst des Pianisten Jarrett, selbst hinter der Darstellung zu verschwinden, so wie der Komponist hinter dem Werk. Es interessiert nicht „der“ Jarrett dabei. Was will man eigentlich mehr herausziehen aus so einer Realisation einer Musik, die genaugenommen eine Ausfahrt aus ihrer Zeit war in eine Richtung, so eigenartig und doch sozialgeschichtlich und ästhetisch verankert, dass selbst ein Blick in den kompositorischen Rückspiegel nur schemenhaft die Landschaft andeutet, aus der sie hervorging.
Außer man spielt es selbst … wenn man kann … wenn man könnte …
Keith Jarrett – Carl Philipp Emanuel Bach: Württembergische Sonaten [2023]
Keith Jarrett – Piano
ECM (VÖ: 30.06.2023 – 2 CDs / 2 LPs)