Davon zeugen auch die hier als Doppelalbum eingespielten sechs Sinfonien «à quatro» op. 35 aus dem Jahr 1782. Dreisätzig angelegt und mit einer Spielzeit von etwa 15 Minuten gehören sie zwar formal einem «älteren»Typus an, entstammen aber unverkennbar der inzwischen vom spanischen Idiom gefärbten Feder Boccherinis. Genau das macht diese Werke (auch im Vergleich zu den bisweilen ungarisch angehauchten Haydns) so spannend: Obwohl das gelegentliche Unisono des Orchesters, die eingestreuten Generalpausen und manche harmonischen Wendungen ganz dem Stil der Zeit entsprechen, wirken die Partituren frisch und unverbraucht (die Bläser sind ad libitum vorgesehen, aber letztlich doch substanziell unverzichtbar). Auch wenn einige Sinfonien bereits eingespielt wurden und ich mir die vorliegende griffige Interpretation akustisch viel direkter vorstellen könnte: Der Vergleich zeigt, dass Marc Destrubé und das Orchestra of the Eighteenth Century einen sehr guten und vor allem verständigen Weg eingeschlagen haben, um die Originalität dieser Musik lebendig werden zu lassen. Sie stellen sich gleichsam in den Dienst der Musik. – Wer in dieser Formulierung nun eine bloße Floskel vermutet, dem sei ein im Booklet mitgeteilter Auszug aus einem Brief Boccherinis an Marie-Joseph Chénier ans Herz gelegt: «Daraus ergibt sich, dass der Komponist nichts ohne die ausführenden Musiker erreicht. Es ist notwendig, dass diese dem Autor gewogen sind, und dann müssen sie im Herzen all das empfinden, was dieser notiert hat; zusammenkommen, proben, untersuchen, schließlich den Geist des Autors studieren, dann seine Werke ausführen. Wenn sie dann beinahe den Komponisten in den Schatten stellen, oder zumindest den Ruhm mit ihm teilen, dann halte ich es zwar für eine Auszeichnung, zu hören: „Wie schön ist dieses Werk!“, aber noch mehr bedeutet mir, wenn man sagt „Wie himmlisch haben sie es gespielt!“»
Luigi Boccherini. Six Symphonies à Quatro op. 35
Orchestra of the Eighteenth Century, Marc Destrubé
Glossa GCD 921131 (2021/22)