21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Homage to Bach

Homage to Bach
Homage to Bach
Johann Sebastian Bach hat selbst viele eigene Stücke bearbeitet, in andere Besetzungen und Gattungen und in deren jeweilige Kontexte transformiert; und die nachfolgenden Generationen haben dies über Jahrzehnte und Jahrhunderte so weitergeführt. Seine Musik birgt derart viele Möglichkeiten ins sich, dass es kaum Grenzen zu geben scheint – und zwar in jede Richtung. Für mich liest sich in diesem Zusammenhang der von Paul Cassidy stammende Booklet-Essay allerdings eher wie eine Rechtfertigung seiner eigenen, hier eingespielten Bearbeitung der Bach‘schen Sonaten für Violine solo für Streichquartett. Sie verlangt ein paar gedankliche Sprünge: So leben die Solosonaten satztechnisch gerade von der ihr ganz eigenen und so charakteristischen latenten Mehrstimmigkeit, in der vieles nur angedeutet wird, das hörende Ohr aber fleißig ergänzt und verschiedene Linien mitverfolgt. Wer dieses extrem kondensierte Geflecht ausbreiten und erweitern will, muss gute Gründe haben. Robert Schumann etwa setzte einfach eine ergänzende Klavierbegleitung dazu, wobei der Schwerpunkt des Wortes auf Begleitung liegt. Paul Cassidy, selbst Bratscher im Brodsky Quartet, geht indes einen Schritt weiter und überführt die Bach’schen Andeutungen in einen Quartettsatz – der nun aber wiederum der eigenen Gattung gerecht zu werden hat. Ein Spagat, der kaum gelingen kann.

Prinzipiell verstehe ich die hinter diesen Bearbeitungen stehende Idee. Hört man sich aber (mal mit, mal ohne Noten) durch die nun allzu mehrstimmig gewordenen und harmonisch ausgeschriebenen Sonaten, so erschienen diese nicht nur als zu konkret, sondern auch seltsam ambivalent. Denn während etwa Mozart im Fall des Wohltemperierten Klaviers einen stimmigen Klaviersatz auf einzelne Instrumente übertrug (in Auswahl für Trio und Quartett), so muss Cassidy hier tatsächlich ergänzen, um einen mehr oder weniger gewohnten Quartettsatz zu konstruieren. Verloren geht dabei die Offenheit des Originals, gewonnen wird indes nichts, zumal sich die Faktur kaum einmal kontinuierlich entfaltet. Tatsächlich stellen sich gar mehrfach Konstellationen ein, die an ein barockes Concerto (!) denken lassen. Ist es also mehr als nur eine sehr versiert eingespielte Aufnahme? Die Antwort lautet für mich leider «nein», denn ich vermisse einen musikalischen Erkenntnisgewinn, der über manch wirklich schöne Farbgebung (vor allem in den eher zu arrangierenden langsamen Sätzen) hinausweist – und nicht unnötig problematisiert wie in der bearbeiteten Fuge aus BWV 1005. Eine überflüssige Produktion.

Homage to Bach.
The Solo Violin Sonatas Arranged for String Quartet by Paul Cassidy
Sonate g-Moll BWV 1001, Sonate a-Moll BWV 1003, Sonate C-Dur BWV 1005
Brodsky Quartet

Chandos CHAN 20162 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #086 – Transformationen