Uneitel soll er gewesen sein, und sein Dirigat in den Dienst des Komponisten, des Werks und des Publikums gestellt haben. Umso tragischer war sein Tod – ein Herzinfarkt mitten imzweiten Akt des Tristan bei einer Aufführung in München. Heute ist das unermüdliche Schaffen von Joseph Keilberth (1908–1968) nur noch auf Tonträger präsent, ein Schaffen, das aber nicht nur im Zeichen von Beethoven und Brahms, Bruckner und Reger sowie Wagner und Pfitzner stand. Wesentliche Stationen waren dabei zunächst Karlsruhe, Berlin und Prag, dann Dresden und Berlin, schließlich Bamberg, Hamburg und München. Seine Zusammenarbeit mit dem Kölner Rundfunksinfonieorchester (dem heutigen WDR Sinfonieorchester) ist dabei durch Mitschnitte aus den 1950er und 1960er Jahren dokumentiert – Aufführungen und Interpretationen, die nun auf zwei CDs wieder zugänglich gemacht werden.
Zunächst einmal handelt es sich um höchst willkommenes Repertoire, von man heute kaum mehr eine Vorstellung hat. Heinrich Kaminski (1886–1946), Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985) und Karl Höller (1907–1987) waren schon Ende des 20. Jahrhunderts fast vergessene Namen mit lange nicht mehr gespielten Œuvres. Dass sie der radikal mit allem brechenden Avantgarde nichts entgegenzusetzen hatten, wird an den hier eingespielten, etwas älteren, vom Neobarock inspirierten Werken mehr als deutlich. Sie stehen in einer anderen Tradition und verlangen gerade deswegen ein gerechtes, auf den Kontext bezogenes ästhetisches Urteil. Das aber fällt bei diesen historischen Aufnahmen nicht leicht. Schon Keilberth selbst notierte «Kaminski sehr kompliziert» und meinte damit die vertrackte Faktur wie auch den erdigen Klang. Das eine wurde dann auch spieltechnisch nur näherungsweise umgesetzt, das andere war noch nicht ausreichend differenziert abzubilden – in diesem Fall sorgt eine neuere Einspielung unter José Serebrier (Naxos, 2011) für mehr Klarheit. Dankbarer sind die Werke von Karl Höller, ebenso wie die an Altes anschließende Partita von Reinhard Schwarz-Schilling. Doch auch hier zeigen sich leider Unzulänglichkeiten des Live-Mitschnitts. Man gewinnt jedenfalls eine Vorstellung von den Herausforderungen, einst (und womöglich auch noch heute) neue Musik bei der ersten Begegnung adäquat einschätzen zu können. Dass das Kölner Rundfunksinfonieorchester in den 1960er Jahren mit der Musik und der Ausdruckswelt von Paul Hindemith hörbar vertrauter war und bereits so manch anderen musikalischen Sturm überstanden hatte, ist der hier merklich souveräneren Gestaltung anzumerken. Ein Album, das sich als spannendes Zeitdokument entpuppt.
Heinrich Kaminski. Concerto grosso für doppeltes Streichorchester und Klavier (1921/23); Reinhard Schwarz-Schilling. Partita für Orchester (1935); Karl Höller. Passacaglia und Fuge nach Frescobaldi op. 25 (1938/39), Fuge für Streichorchester (1948); Paul Hindemith. Sechs Lieder aus dem «Marienleben» für Sopran und Orchester (1939/59), Konzert für Orgel und Orchester (1962)
Agnes Giebel (Sopran), Anton Heiller (Orgel), Kölner Rundfunksinfonieorchester, Joseph Keilberth
Aldilà Records AHCD 013 (1955, 1956, 1961, 1964)