Bei manchen Aufnahmen ist man blitzschnell hellwach. Wie ein Schock startet dieses Jazzorchestra von Tobias Hoffmann mit dem Stück «Conspiracy», das der Platte auch ihren Titel gab. Verschwörung! Und was für eine. Mindestens eine musikalische oder ästhetische! Die Arrangements und die harmonische Durchgestaltung zeugen von allerhöchster Finesse und superber Kenntnis im Umgang mit Sounds. Wie hier der Gitarren-/Pianoklang sich mit weniger Wohl als vielmehr Wehe präsentiert und im Solo des Saxophonisten die Kulisse über dem Ostinato-Grundmotiv abdichtet, ist nicht anders als sensationell zu nennen. Es tut mir leid, so emphatisch zu werden, aber ein Hauch von „Things To Come“ weht hier vom ersten Klang an. Aber gegen wen geht diese Verschwörung eigentlich?
Die Platte spannt dann mit der «Elegy», einem durchkomponierten Jazzchoral mit kontrapunktischen Elementen die Dimensionen der CD komplett auf. Im «December Song» beeindrucken die parallel geführten Bläsersets wie auch die immer wieder äußerst effektiv und souverän geführten rhythmischen Variantenbildungen kürzerer Motivketten. Das ist in ihrer Wirkung so erstaunlich die Ohren strudelwärts ziehend, wie umgekehrt an sich ja keine Raketenwissenschaft. Man muss es eben können. Das können Hoffmann und seine Mitmusiker. An der Präzision der Umsetzung hängt letztlich alles. Und da beweist sich dieses Jazzorchestra als extrem und ohne Tadel. Man fühlt sich in eine andere Welt hineinversetzt – Subs-Tanz pur.
Das funktioniert aber eben auch bei einem Stück wie «Awakening» bei dem man die Klangfäden laufen lässt über einer recht simplen Bass-Idee. Wie fein da aber die Klangfarben und Harmonien herausgebildet werden – aus den Fäden heraus und eine emotionale Bindung zum Hörer und der Hörerin aufbauen. Wenn dann das Flügelhorn-Solo von Jakob Helling sich darin später mit einer ungeheuren Sorgsamkeit entfaltet, dann möchte man nur noch mitgezogen werden und eher nicht erwachen wollen. Variantentechnik hier ebenso, auch die Harmonik selbst betreffend.
Man könnte das jetzt Stück für Stück bewundernd weiterführen. Alles sitzt! Nix klemmt! Die Band ist großartig, die Kompositionen sind voller Raffinesse und mit genug Platz für genügend Freiheiten. Alle charaktervoll gesetzt, mal Schönbergs Komposition mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen nicht nur streifend wie bei «Relentless» oder dem Walzer-Blues bei «Trailblazers» …
Tobias Hoffmann und sein Jazzorchestra ist hier ein wirklich großer Wurf gelungen. Ohne Scheiß! Und schlimmer: Das Titelstück verfolgt einen noch im Traum.
Eine Antwort bin ich schuldig auf die Frage: Aber gegen wen geht diese Verschwörung eigentlich? Es kann eigentlich nur eine gegen Dumpfsinn und sinnliche Einfallslosigkeit sein. Allerdings.
Tobias Hoffmann – Conspiracy [2022]
MONS Records
- Saxophone Patrick Dunst (Alto Saxophone, Soprano Saxophone & Flute), Andy Schofield (Alto Saxophone, Flute & Clarinet), Robert Unterköfler (Tenor Saxophone, Soprano Saxophone & Clarinet), Martin Harms (Tenor Saxophone & Clarinet), Jonas Brinckmann (Baritone Saxophone & Bass Clarinet)
- Trompeten & Flügelhörner Dominic Pessl, Bernhard Nolf, Felix Meyer, Simon Plötzeneder, Jakob Helling
- Posaunen Kasperi Sarikoski (Trombone), Robert Bachner (Trombone & Euphonium), Daniel Holzleitner (Trombone), Johannes Oppel (Bass Trombone & Tuba)
- Rhythmusgruppe Vilkka Wahl (Guitar), Philipp Nykrin (Piano & Synthesizer), Ivar Roban Krizic (Double Bass & Electric Bass), Reinhold Schmölzer (Drums & Electronics)
- Dirigent Tobias Hoffmann
- Recording Supervisor Peter Lenz