21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

1939 / Fabiola Kim

1939 / Fabiola Kim
1939 / Fabiola Kim
Es war ein Schicksalsjahr für Europa und für die ganze Welt. Im Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 kulminierte das weltpolitische Crescendo der beiden vorangegangenen Jahrzehnte. Doch hat sich diese Entwicklung auch in der Musik des Jahres 1939 gespiegelt? Eine Frage, die unweigerlich über diesem dramaturgisch interessanten Album schwebt – und die sich wohl nur in Bezug auf das Concerto funèbre von Karl Amadeus Hartmann eindeutig beantworten lässt. Tatsächlich waren in den 1930er Jahren gleich mehrere herausragende Werke entstanden – hier nur der Versuch einer unvollständigen Liste mit den namhaftesten Komponisten: Strawinsky (1931), Berg (1935), Hindemith (1935 und 1939), Schönberg (1936), Prokofjew (1937) und Bartók (1938), Barber (1938/39), Britten (1938/39), Walton (1938/39).

Der Blick aufs Detail zeigt freilich, dass man es bei diesem Album mit dem Jahr 1939 dann eben doch nicht ganz so eng gesehen hat – oder zumindest immer wieder die Perspektive darauf veränderte. Im Booklet finden sich dementsprechend zwar ansprechende Werkbesprechungen, nicht aber eine weiterreichende Reflexion des historischen Phänomens. Und die Produktion? Mit 28 Jahren legte die mehrfach mit Preisen ausgezeichnete und aus internationalen Wettbewerben als Siegerin hervorgegangene Fabiola Kim damit relativ spät ein Debütalbum vor, verblüfft aber mit dem Repertoire, das von anderen geradezu gemieden wird. Trotzdem: der Doppelpack mit einer Spielzeit von 92 Minuten hätte noch Platz für mehr gehabt. Interpretatorisch überzeugt Fabiola Kim mit einer dem Detail dienlichen Spieltechnik und einer facettenreichen Tongebung, die die zarte Linie ebenso kennt wie den bissigen, aufgerauten Zugriff. Dass die Deutungen zwar «richtig» sitzen, dennoch aber emotional nicht recht berühren und im Ausdruck (aufs Ganze gesehen) seltsam neutral erscheinen, mag vielleicht an der Studioproduktion liegen. Die Münchner Symphoniker unter Kevin John Edusei begleiten und gestalten jedenfalls sehr aufmerksam, klingen mir persönlich aber zu pauschal.

1939
William Walton. Konzert für Violine und Orchester (1938/39); Karl Amadeus Hartmann. Concerto funèbre für Violine und Streichorchester (1939); Béla Bartók. Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 BB 117 Sz. 112 (1938)
Fabiola Kim (Violine), Münchner Symphoniker, Kevin John Edusei

Solo Musica SM 308 (2018, 2019)

HörBar1908 / Valentina Lisitsa >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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