18. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Journeys

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Wer hat in einem Flughafen nicht schon einmal auf die große Anzeigetafel mit den «Departures» geschaut? Da kann man zwar über den ein oder anderen kurzen «Hüpfer» die Stirn runzeln, bei anderen Städtenamen stellt sich jedoch Fernweh ein. Wenn man jetzt einfach mit einsteigen könnte… Das aber funktioniert in der Realität dann doch nur bei der Deutschen Bahn mit der seit Harald Schmidt legendären «schwarzen Mamba», der BahnCard 100. Dieses Album nun gleicht einer spontanen Weltreise: neun Werke von neun Komponist:innen von insgesamt fünf Kontinenten (Südafrika, Slowakei, Kanada, Ägypten, Chile, Neuseeland, Kasachstan, Singapur, Uruguay). Internationaler, vielsprachiger geht es kaum.

Nach dem Absatz möchte ich dann doch ein «aber» hinzufügen. Denn diese Werke selbst sind vielfach austauschbar und einem beliebigen «neo»-Stil verpflichtet. Die Postmoderne ist ja bereits passé, hier allerdings werden musikalische Neologismen verfolgt, die Tonalität und Melodik einer Nachromantik atmen. Verdächtig: der melodische Aufschwung einer Oboe bei Zhangyi Chen, ebenso das cinematographische Stampfen bei Harry Stafylakis. Und dennoch ist so eine Zusammenschau dramaturgisch beeindruckend, auch wenn die Stücke teilweise schon anderthalb Jahrzehnte alt sind. Dass es sich durchwegs um Ersteinspielungen handelt, spricht für die Recherche im Hintergrund. Dass die Namen der Komponist:innen bisher in keinem größeren Kontext aufgefallen sind, hat auf der anderen Seite auch seine Gründe. Bei dieser hörbar engagierten Produktion mit dem Norwegian Radio Orchestra unter Miguel Harth-Bedoya ist es wie bei jedem Flug: Erstaunt blickt man auf wundervolle Wolkengebirge und erfreut sich an den Landschaften und Texturen der Erde – für diesen einen Moment, den man nur mühsam festhalten kann.

Journeys. Music from Five Continents
Robert Fokkens. Uhambo Olunintsi («Journeys») (2002); L’ubica Čekovská. Shadow Scale (2005); Harry Stafylakis. Brittle Fracture (2013); Nahla Farouk Mattar. El-Áin («The evil eye») (2005); Carlos Zamora. Sikuris (1999, Version für Kammerorchester 2009); Chris Gendall. Gravitas (2010/11); Aigerim Seilova. Pendulum. Evaporation (2015); Zhangyi Chen. of an ethereal symphony (2015); Miguel del Águila. The Giant Guitar op. 91 (2006)
Audun André Sandvik (Violoncello), Norwegian Radio Orchestra, Miguel Harth-Bedoya

Naxos 8.574265 (2018/19)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #068 – Auf Reisen