21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

rand – Peripherie

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rand – Peripherie

Es gibt solche und solche. In der Selbstbeschreibung ihres Soundworks geben der Pianist und der Producer Dr. Nojoke ohne Witz an, diese Musik könnte Fans von «Nils Frahm, Alva Noto & Ryuichi Sakamoto, Bing  Ruth, Erased Tapes …» interessieren. Stichworte sind «Ambient, Glitch, Modern Classical Music und Clicks & Cuts». Wer oberflächlich in die Platte reinhört, erkennt all das wieder. Eine weitgehend ruhig dahin zerfließende Musik aus Klavierklängen umschwirrt von allerlei «Electronica». Oder umgekehrt, wenn die Klavierklänge darin eingebettet sind. Das ist in allererster Linie eine genussvolle Angelegenheit und stimmig in seiner ganzen Konstruktion. Den einen oder die andere wird überraschen, dass die neun Stücke (auf CD) und die sieben (auf Vinyl) ohne Overdubs auskommen. Sie basieren teilweise auf Kompositionen von Jan Gerdes oder sind Ergebnis von Improvisationen beim Zusammenproben. Gemixt und gemastered hat das Produkt Andrea Cichecki.

Man könnte meinen, derlei Art von Musik gäbe es wie Sand am Meer. Das stimmt. Derlei Art wohl, aber geht man in die Feinheiten des Kompositionsaufbaus, tun sich das Niveauunterschiede auf. (Siehe auch positiv Clemens Christian Poetzsch: Remember Tomorrow [2019] oder Francesco Tristano: Tokyo Stories [2019]). «rand» ist eben nicht so ein Kellerwerk aus dem Baukasten der Versatzstücke irgendwelcher Soundprogramme mit ihren Sequenzern und bequemen Libraries. Aber es handelt sich auch nicht um eine verkorkste überreflektierte oder zusammenalgorithmierte pseudokomplexe Angelegenheit. Das Fluide muss man erst mal in Gang bringen können und es dann seinen Raum finden lassen.

Zum Beispiel: Das Fluide und Durchgepulste der Musik erinnert bisweilen an Steve Reichs Ensemblestücke aus den 70er Jahren. In «Permanent Green» taucht dieser repetitive Aspekt unmissverständlich auf. Die daran anschließende Klavierpassage ist übersichtlich voraussehbar in ihrem harmonischen Ablauf und endet in einer Oberstimmenimprovisation, die nach und nach mit wie gemorsten Mixklängen von Dr. Nojoke weniger begleitet als vielmehr schon gekontert wird.

«Siegfried 2.0» macht im melodischen Bereich deutlich Anleihen bei Robert Wyatts «Alliance» von der Scheibe «Old Rottenhat» – ob Absicht oder nicht. Dieser Track sticht heraus, irgendwie düster, irgendwie simpel. Wenn das in der richtigen Form sich amalgamiert, so wie hier, entsteht eine faszinierende Klangwelt eigener Art.

Nicht alle Stück gehen gleichermaßen gut auf. Aber doch irgendwie jedes für sich schon. Gern gehört. Flache akustische Hierarchien zum Nebenbeihören, genügend verschachtelt für ein nachforschendes Hören.


rand – Peripherie [2022]

  • Jan Gerdes: Piano
  • Dr. Nojoke: Electronics, Producer

 

 

 

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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hoerbar_nmz

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