21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Paul Wranitzky

Paul Wranitzky
Paul Wranitzky
Noch vor mehr als drei Jahrzehnten kam die auf LP veröffentlichte Einspielung mit der so genannten «Revolutions-Sinfonie» einer kleinen Sensation gleich. Inzwischen scheint das Œuvre von Paul Wranitzky (1756–1808) nicht mehr ganz so exotisch zu sein – jedenfalls sind zuletzt verschiedentlich Produktionen vorgelegt worden, die das Kennenlernen bequemer ermöglichen, auch wenn nicht immer alles von gleichbeliebender interpretatorischer Qualität ist. So kann man etwa mit der Einspielung von Sinfonien durch das Czech Chamber Philharmonic Orchestra, die bei Naxos aktuell bei Volume 4 angelangt ist, nicht recht glücklich werden. Das wirkliche Potential des Werkbestands – Wranitzky hat erstaunliche 45 nachweisbare Sinfonien geschrieben, von denen 23 gedruckt wurden – wird erst in der Einspielung der Akademie für Alte Musik Berlin mit Bernhard Forck als Konzertmeister unverfälscht hörbar.

Die hier mit Ernst und Feuer eingespielten Sinfonien entstammen alle einer Zeit, in der die beiden Kollegen selben Jahrgangs (Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Martin Kraus) bereits verstorben waren. Die programmatisch angelegte, auch martialische Töne anstimmende Sinfonie op. 31 (1797) entstand in der Zeit der Koalitionskriege (fast zwei noch schlimmere Jahrzehnte sollten folgen), die Sinfonie D-Dur op. 36 dann 1799 zur Vermählung von Erzherzog Joseph und Großfürstin Alexandra Pawlowna Romanowa (1783–1801), die später am Kindbettfieber verstarb. Aus den 1790er Jahren stammt auch die Sinfonie d-Moll, die wegen ihres naturalistischen Finales zu Recht die Bezeichnung «La Tempesta» verdient. – Wer das Doppelalbum aufmerksam hört, wird sich viele Fragen stellen. Nicht nur nach der bisher wie in Beton gegossenen anhaltenden Generalpause in der Rezeption von Paul Wranitzky, sondern auch nach den möglichen Auswirkungen seiner Musik auf Haydn (vgl. das Adagio der d-Moll-Sinfonie), Beethoven, oder gar den ganz jungen Schubert (vgl. Beginn der Sinfonie D-Dur). Abgesehen von der beeindruckenden musikalischen Qualität der Kompositionen tun sich hier Kontexte auf, denen es nachzugehen gilt. Und Wranitzky selbst? Seine Werke könnten die einschneidenden stilistischen Veränderungen nach 1800 erklären helfen.

Paul Wranitzky. Ouvertüre zu «Oberon, König der Elfen»; Sinfonie c-Moll op. 31 «Grande Sinfonie caractéristique pour la paix avec la République française»; Sinfonie D-Dur op. 36; Sinfonie d-Moll «La Tempesta»
Akademie für Alte Musik Berlin, Bernhard Forck

Sony 19658702252 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #062 – Sinfonisches