Wie geschwungen, so verklungen. Eintauchmusik, schrubbig manchmal, dann eher gelüftet. Strukturen, so die Titel Römisch I bis VI, klingt dabei viel zu eckig für das, was da tatsächlich tönt. Das Ensemble Enso breitet nämlich sehr Lebendiges, weniger Abstraktes oder Immaterielles vor einem aus. Entschuldigen Sie den Einwurf, gerade aber türmt sich so eine Art lebendiger Obertonreihe mit vor mir auf. Ein Dahingehauchtes ist es dann. Und eine seltene Musik obendrein: Die Besetzung mit Michael Thieke (Klarinette), Sandra Weiss (Fagott), Nathan Bontrager (Cello), Stefan Schönegg (Kontrabass) und Etienne Nillesen (erweiterte Snare Drum) ist von exklusiver Besonderheit.
Und ein Gefeldmantes eben auch. Musik, die unhintergehbar wie eine Klangskulptur ihren Raum beansprucht – ohne jede Form des Überredens, in jeder Faser eine Musik, die mitnimmt und dabei den Klangreisenden keine blöden Fragen stellt. So muss das. So freut es. Warum immer nur ästhetische Fragen stellen, wenn man doch so viele Antworten hat. Ja, so ist es einfach. Und so einfach könnte es immer sein, wäre es nicht zugleich so kompliziert. Denn dafür bedarf es Musiker:innen, die nachempfinden und reagieren können in jeder denkbaren Konstellation. Das geht leider nicht hopplahopp, sondern nur unter Vertrauten, die sich eben vertrauen.
Eine so schöne Sache kann die Musik sein, wenn sie Platz bietet all denen, die sich Zeit und Ruhe gönnen, zuzuhören; ohne Angst, ohne Misstrauen, ohne jede Gewalt, reichhaltig im Reduzierten. Die Musik des Werdens und Entstehens aus wenigem – und darum so frei wie kaum was anderes.
Strukturen sind „komponiert“, die „Reflexions“ I bis IV dagegen deutlich improvisiert. Das kann man ohne mit dem Hammer oder Amboss zu zucken, wahrnehmen. Die komplexe Leere ist hier deutlich weniger einfach auf die Reihe zu bekommen. Da muss man sich noch mehr mitziehen lassen, noch mehr loslassen können. Nicht zu einfach das. Aber in der Differenz sehr faszinierend wiederum. Mehr gerührt wird hier, mehr gekocht am lebendigen Objekt. Das ist auch für die Musizierenden sicher ungleich schwieriger, weil es ein doppeltes Eintauchen verlangt und Abstrahieren und Absehen, nämlich zugleich von sich selbst, als Akteur und als Reakteur; das allemal kann wirklich nicht jedes Ensemble. Höchster Respekt.
Michael Rüsenberg beschrieb in anderem Zusammenhang auf Jazzcity das Erleben von Schönegg und Co mit den Worten: „Stefan Schönegg hat uns für eine Stunde den Kopf verdreht.“ Da ist was dran. Und die Ohren drehen sich hier bei Strukturen mit. Der Rest folgt mit der Verzögerung der Erkenntnis.
Stefan Schönegg: Enso – Strukturen (Vinyl – Download) – (2021)
Mit Michael Thieke (Klarinette), Sandra Weiss (Fagott), Nathan Bontrager (Cello), Stefan Schönegg (Kontrabass) und Etienne Nillesen (erweiterte Snare Drum). Verfügbar als Download und als Vinyl auf Bandcamp und bei Stefan Schönegg direkt.
IMPAKT (Improvisation & aktuelle Musik Köln)
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