21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Spurensuche / Kyra Steckeweh

Spurensuche / Kyra Steckeweh
Spurensuche / Kyra Steckeweh

Wer von einer «Spurensuche» spricht, denkt vermutlich zunächst an kleine, kaum wahrnehmbare Reste einer näheren oder ferneren Vergangenheit. Diese CD greift weiter. Nicht längst verblasste «Relikte» der Musikgeschichte wurden hier eingespielt, sondern wahre Schwergewichte. Sie sind (um im Bild zu bleiben) schon länger offenkundig und frei zugänglich, nur dass bisher kaum jemand so genau hingeschaut hat. Denn wo viele Komponistinnen (wie auch ihre männlichen Kollegen) sich oft nur mit kleinen Piècen begnügten, da zeigten Sophie Westenholz, Ethel Smyth und Dora Pejačević, dass man auch im Bereich der Sonate reüssieren konnte. Es sind drei verblüffende Kompositionen, die viel zu selten gespielt werden – von denen allerdings die beseelte Partitur von Sophie Westenholz (1759–1838) ein anderes, zeitgenössischeres Instrument verdient hätte als einen gleichmachenden modernen Flügel: Er lässt manche Repetition kurios erscheinen, wo das Fortepiano ganz leicht die differenzierten Klangfarben hervorgebracht hätte.

Und so liegt trotz der Westenholz-Ersteinspielung das Augenmerk eher auf den Sonaten von Ethel Smyth (Leipzig 1877, autobiographisch motiviert) und Dora Pejačević (aus dem Kriegsjahr 1915). Auch diese Werke stehen auf der Höhe ihrer Zeit – bei Ethel Smyth zudem eine glühende Juvenalie, die viel von der späteren, oft genug verkannten, inzwischen allerdings recht etablierten «Grande Dame» der englischen Musik vorwegnimmt. Ähnlich verhält es sich mit Dora Pejačević, deren musikalisches Schaffen in den letzten Jahren eine regelrechte Wiederbelebung erfahren hat. Umso mehr geht es nun in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts auch schon lange nicht mehr um «Entdeckungen», sondern um hochkarätige Interpretationen. Und diesbezüglich hinterlässt die Einspielung einen zwiespältigen Eindruck auf hohem Niveau. So engagiert sich Kyra Steckeweh im Booklet selbst äußert, so einwandfrei sie die Sonaten technisch realisiert, so vermisse ich am Ende doch eine unverwechselbare persönliche Note, wenn nicht gar ein befreites Aufspielen, bei dem auch mal die Pranke zuschlägt. Ein unerschrockener Zugriff wie auch etwas mehr musikalischer Grip wären fraglos möglich gewesen.

Spurensuche – Dora Pejačević. Klaviersonate b-Moll op. 36; Sophie Westenholz. Klaviersonate c-Moll; Ethel Smyth. Klaviersonate Nr. 2 cis-Moll
Kyra Steckeweh (Klavier)

Kaleidos KAL 6355-2 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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