Dass Fanny Mendelssohn (1805–1847) eine herausragende Komponistin war, steht seit langem außer Frage. Bedauerlich ist allein, dass sie in ihrem Œuvre nicht alle Gattungen bedachte. Gerade die großen zyklischen Formen der Instrumentalmusik fehlen; das Streichquartett (1834) gibt nur eine Vorahnung auf das, was ohne die gesellschaftlichen Grenzen auf einem eigenen Weg möglich gewesen wäre. Und so bliebt vor allem die Klaviermusik – hier repräsentiert durch drei Sonaten und einen Sonatensatz. Es mag dabei charakteristisch sein, dass die so genannte «Ostersonate» von 1828 noch bis vor wenigen Jahren dem Bruder Felix zugeschrieben wurde, da das Manuskript lediglich mit «F. Mendelssohn» versehen ist. Inzwischen ist der Fall geklärt – aber er macht doch sogleich klar, wo der Fokus saß, wie man die (ältere) Schwester künstlerisch einschätzte.
Bei der vorliegenden Aufnahme handelt es sich zwar nicht um eine Ersteinspielung, wohl aber um eine gut geglückte Produktion – bis zu einem gewissen Grad. Auch wenn Gaia Sokoli die Sache eher von der virtuosen Seite angeht (und gegen eine gute Technik ist nun wahrlich nichts einzuwenden), so überzeugen die schönen Einspielungen in der Summe nur bedingt. Wie schon so oft an dieser Stelle beanstandet, vermisse ich die Farbigkeit des zeitgenössischen Instrumentariums, ohne das die Werke kaum zu denken sind. Wieder einmal wird auf einem modernen Flügel alles gleich gemacht, wo ein anderes Instrument, zumindest aber die Erfahrung mit einem solchen, die Sätze in Obertönen und nach Farben differenzierter hätte gestalten helfen. So aber geht Gaia Sokoli mit ihrem Spiel eben nur bis zu einem Punkt diesseits dieser imaginären Grenze. Ich bin kein Purist, aber die heute vorhandenen Möglichkeiten sollten eine offenere Denkart und Spielweise befördern.
Fanny Mendelssohn. Klaviersonate g-Moll (1843), Ostersonate (1828), Sonatensatz (1822), Klaviersonate c-Moll (1824)
Gaia Sokoli (Klavier)Piano Classics PCL 10187 (2020)