Einzelhaft in der privaten Übezelle. So fühlten sich wohl manche Musiker im großen Lockdown im Frühjahr 2020. Es gehörte viel Ausdauer und eine noch größere Portion (Selbst-)Disziplin dazu, sich in jenen einsamen Wochen ausgerechnet mit den gefürchteten Capricen op. 1 von Nicolò Paganini zu beschäftigen. Alina Ibragimova jedenfalls hat sich diese 24 kleinformatigen Meisterstücke vorgenommen – nicht allein um diese virtuos zu beherrschen, sondern auch musikalisch zu deuten.
Die Konzentration auf das Wesentliche, frei von Verpflichtungen und Ablenkungen, muss als ein Glücksfall angesehen werden, ebenso wie die Bereitschaft des Labels, nur wenig später in der damals vollkommen verwaisten Henry Wood Hall diese Aufnahme im Modus eines vollständigen distancing zu produzieren (so die im Booklet beigegebene Rückschau von Andrew Keener). Vielleicht bedarf es manchmal solcher seltenen Ausnahmesituationen, um durch ein einziges Instrument Klänge aus der imaginären Welt des musikalischen Notats auf so intensive und faszinierende Weise Wirklichkeit werden zu lassen.
Alina Ibragimova gelingt dies mit stupender Technik und Tongebung, bei der nichts dem Zufall überlassen bleibt und selbst in den Extremen bewundernswert gestaltende Souveränität behält (hinreißend die bisweilen diabolischen Schattenklänge). So wirken die Capricen nicht mehr wie halsbrecherische Exerzitien, sondern entfalten ein Ausdrucksspektrum, von dem bisher vielfach nur Teile zu erahnen waren. Vortrefflich!
Nicolò Paganini: 24 Caprices op. 1
Alina Ibragimova (Violine)Hyperion CDA 68366 (2020)