Was wäre nur aus Hans Rott geworden, wenn schon im Jahr 1880 ein Rauchverbot bei der Eisenbahn bestanden hätte? So jedenfalls hinderte er im Verfolgungswahn mit vorgehaltenem Revolver einen Mitreisenden daran, sich eine Zigarre anzustecken: Brahms hätte Dynamit im Waggon deponiert … Psychisch vollkommen zerrüttet, verblieb Rott für die letzten Jahre seines kurzen Lebens (1858–1884) in der Niederösterreichischen Landes-Irrenanstalt in Wien. Erst mit der sensationellen Uraufführung seiner Sinfonie E-Dur in Cincinnati, über 100 Jahren nach ihrer Vollendung, erwachte wieder die Aufmerksamkeit auf einen Komponisten, über den sich sein ehemaliger Kommilitone Gustav Mahler auch später noch äußerst anerkennend geäußert haben soll. Wer auch nur eine der inzwischen zehn(!) Einspielungen dieser großformatigen Sinfonie gehört hat, wird das Ausmaß des musikgeschichtlichen Verlustes sofort begreifen.
Weitgehend unbekannt sind bisher hingegen die weiteren Werke von Hans Rott geblieben – etwas Kammermusik, vor allem aber eine zweite Sinfonie, zwei Suiten und mehrere Vorspiele. Manches davon blieb unvollständig, anderes gar nur fragmentarisch. Insofern handelt es sich schon bei dieser ersten Folge der Einspielung von Orchesterwerken um eine Pioniertat. Denn obwohl bei einigen Werken auch Vorbilder durchscheinen, so ist doch Rotts eigene musikalische Sprache auch schon bei den frühen Partituren deutlich herauszuhören – motivisch, insbesondere aber auch die Harmonik betreffend. Das bereits 1877 begonnene Pastorale Vorspiel F-Dur steht der ersten Sinfonie schon sehr nahe. Einen Glücksfall für die weitere Rezeption dieser Werke stellt jedenfalls ihre Einspielung durch Christopher Ward und das Gürzenich Orchester Köln dar. Hier wird nicht nur Unbekanntes wie selbstverständlich auf sehr hohem Niveau gespielt, auch die Abmischung der Aufnahme im Studio Stolberger Straße klingt wie aus einem richtig guten Konzertsaal. So können Entdeckungen begeistern.
Hans Rott: Hamlet-Ouvertüre (1876), Suite E-Dur (1878), Vorspiel zu «Julius Cäsar» (1877), Orchestervorspiel E-Dur (1876), Suite B-Dur (1877), Pastorales Vorspiel B-Dur (1877)
Gürzenich Orchester Köln, Christopher Ward
Capriccio C 5408 (2020)
- Schreker: Complete Orchestral Works Vol. 1 – Bochumer Symphoniker / Steven Sloane
- Beethoven / Barry – Britten Sinfonia / Thomas Adès
- Rott: Orchestral Works – Gürzenich Orchester Köln / Ward
- Brahms: Sinfonien – Wiener Symphoniker / Philippe Jordan
- Lento religioso – Amsterdam Sinfonietta / Candida Thompson