21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Philharmonia Orchestra. Birth of a Legend

Philharmonia Orchestra. Birth of a Legend
Philharmonia Orchestra. Birth of a Legend

Was waren das für Zeiten, als sich ein Schallplatten-Label ein eigenes Orchester leisten konnte. Denn das von dem Produzenten Walter Legge 1945 ge­gründete Philharmonia Orchestra wirkte in seinen ersten 20 Jahren vor allem (aber nicht nur) als Studio-Orchester für den offenbar unersättlichen und höchst ertrag­reichen Klassik-Markt. Erst als 1964 die EMI ausstieg, sahen sich die Musiker gezwun­gen, durch Umfirmierung den Klangkörper zu erhalten. Einen Querschnitt aus diesen ersten zwei Dekaden bietet die vorliegende Box – nun von Warner als Nachlassverwerter des einstigen Kult-Labels.

Die Archive sind (das haben in den letzten Jahren auch zahlreiche andere Editionen gezeigt) gut gefüllt und scheinen einem Füllhorn zu gleichen – wenn, ja, wenn nicht immer nur das Ewiggleiche den Weg in die Presswerke gefunden hätte. Wohl mehr als die Hälfte der Aufnahmen unter namhafter Stabführung sind bereits in den letzten zehn Jahren auf anderem Wege veröffentlicht worden, wer nach „Neuheiten“ sucht, muss mit Hilfe des Kleingedruckten selbst recherchieren. Insofern könnte man auch von einer maximalen Auswertung der erworbenen Bestände sprechen. Andererseits bieten solche Boxen dem fortgeschrittenen Einsteiger wie auch dem nicht ganz so versierten Sammler eine hervorragende Möglichkeit, in eine be­wegte Zeit der Interpretationsgeschichte einzutauchen – auch wenn das hier prä­sentierte Repertoire sich eben doch nur auf die Romantik und wenige Werke der Klassischen Moderne konzentriert (Bartók und Strawinsky). Allerdings: Karajans Bartók (Musik für Saiteninstrumente) wirkt noch immer frisch (1951), Toscaninis Brahms bleibt aufregend (1952). Von den neueren Remasterings sticht für mich William Waltons Dirigat seiner Sinfonie Nr. 1 (1946) und des Violakonzerts (1951, mit William Primrose) ebenso hervor wie die von Paul Kletzki glühend gestaltete Streicherserenade von Tschaikowsky (1952). Fazit: Hier kann man bewährte Bekanntschaften erneuern und neue schließen.


Philharmonia Orchestra. Birth of a Legend
Philharmonia Orchestra, Herbert von Karajan, Wilhelm Furtwängler, Guido Cantelli, Arturo Toscanini, Paul Kletzki, André Cluytens, William Walton, Otto Klemperer, Carlo Maria Giulini, Charles Mackerras, Otto Ackermann, Henry Krips, Nikolai Malko, Artur Rodzinski, George Weldon, Wolfgang Sawallisch, Igor Markevitch, Herbert Menges, Efrem Kurtz, Esa-Pekka Salonen
Warner 01902953495166 (1946–1964, 2018)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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