Umweltbewusst nutzen wir heute selbstverständlich die Rückseite eines längst verbrauchten Papiers für flüchtige Notizen. Vor vielen Jahrhunderten wendete man ein ähnliches Verfahren an, um wertvolles Pergament nochmals zu beschreiben: Mehr oder weniger sorgfältig wurde dazu die Buchbindung gelöst, ältere, offenbar wertlos gewordene Beschriftungen auf den Blättern ausrasiert und am Ende wieder ein neues Konvolut gebunden. Die ältere Schicht scheint meist endgültig verloren, so auch bei einer umfangreichen Handschrift mit Musikrepertoire aus dem italienischen Trecento, die ab 1504 in Florenz für ein Verzeichnis über Erwerb und Vermietung von Immobilien weitergenutzt wurde. Erst die aufwendige Untersuchung mithilfe einer Multispektralkamera und ausgefeilter Satellitenbild-Software förderte nun die erstaunlich gut lesbaren Reste der alten Schicht zutage: nicht weniger als 216 Kompositionen vom mittleren 14. bis in die ersten Dekaden des 15. Jahrhunderts.
Eine philologische Sensation, mehr aber noch eine musikalische, denn hier fanden sich nun auch Werke von Giovanni Mazzuoli, für die im Squarcialupi-Codex nur der leer gebliebene Platz vorgesehen war (eine Notation unterblieb). Die musikalische Umsetzung durch das Ensemble La Morra ist phänomenal, die Dokumentation umfasst weit mehr, als man von einem Booklet üblicherweise erwartet. Es ist eine für das Label Ramée typische Produktion, die akustisch wie gestalterisch höchsten Ansprüchen gerecht wird. Sie ist mehr als nur ein Sammlerstück.
Splendor da ciel. Rediscovered Music from a Florentine Manuscript
La Morra
Ramée RAM 1803 (2018)
- Johannes de Lublin tablature (1540) – Corina Marti (Renaissance Cembalo)
- Splendor da ciel. Rediscovered Music from a Florentine Manuscript
- Johannes Ockeghem: Masses 2 – Beauty Farm
- Alfonso X el Sabio: Cantigas de Santa Maria – Jordi Savall u.a.
- Guillaume Du Fay: Motets, Hymns, Chansons, Sanctus Papale
- Voix du ciel. Polyphonies médiévales et chants sacrés – Ensemble Gilles Binchois