Gerade Ensembles Alter Musik pflegen oft einen vergleichsweise entspannten Umgang mit zeitgenössischen Partituren. Das Finnish Baroque Orchestra vergibt regelmäßig Kompositionsaufträge und hat unter dem Titel „Helsinki Window“ seine zweite CD mit neuer Musik eingespielt. Neben den finnischen Komponisten Jukka Tiensuu und Perttu Haapanen mit ausgesprochen polystilistischen Stücken, die tänzerisch bis burlesk die raue Klanglichkeit der barocken Originalinstrumente auskosten, steht Sarah Nemtsov mit zwei Cembalokompositionen besonders im Fokus. „running, out of tune“ (2013) entwickelt aus den Reibungen zweier Cembali in temperierter und mitteltöniger Stimmung harmonisch und rhythmisch ganz ungewöhnliche Texturen.
Vielleicht das Interessanteste, was man seit Ligetis „Continuum“ auf dem Cembalo gehört hat. Im Rahmen chaotischer Verdichtungsprozesse kollabiert die historische Oberfläche am Ende im lärmenden Einbruch diverser Tape-Sounds. Ein deutlich hybrideres Setup weist „beyond its simple space“ (2018) für Solo-Cembalo, Barockensemble, Elektronik und Klangobjekte auf. Angelehnt an ein Gedicht von Robert Creeley lässt Nemtsov eine Klangwirrnis wuchern, in der das Rohe und Undomestizierte ungehindert seinen Lauf nehmen darf. Am Ende dann diffuse Stimmen, Vögel, Geräusche, ein Fenster nach Draußen.
- Zuerst erschienen in der nmz 2019/06 unter dem Titel:
Multiple Identitäten – Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
Finnish Baroque Orchestra: Helsinki Window
FiBO Records