7. Oktober 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Mr. Charles the Hungarian

Mr. Charles the Hungarian
Mr. Charles the Hungarian
Wer Ende des 18. Jahrhunderts Dublin mit dem Boot erreichte, dem dürfte sich die auf dem Cover abgebildete Aussicht auf die Marineschule dargeboten haben. Und hätte man die Menschen der Stadt nach ihren musikalischen Vorlieben gefragt, wäre wahrscheinlich auch noch zu jener Zeit die Antwort «Mr. Handel» gewesen. Ob es sich bei dem kaum dem Namen nach bekannten Mr. Charles the Hungarian jedoch wirklich um einen Rivalen Händels handelt, wie es im Untertitel des Albums heißt, ist fraglich. Nach der Lektüre des Booklets gewinnt man eher den Eindruck einer konstruierten Geschichte. Denn Charles (Carlo) Vernsberg, Mitglied der Royal Society of Musicians, war in erster Linie innovativer Instrumentalist und nicht Komponist. Sein Konzert vom 12. Mai 1742, dessen Programm sich teilweise rekonstruieren lässt, diente als dramaturgische Vorlage für die vorliegende Produktion.

Aus dem dreiteiligen Abend mit seinen zwölf Programmpunkten wurde eine unterhaltsame Stunde geronnen. Es erklingen Raritäten – auch in der Art der gewählten zeitgenössischen Editionen –, musiziert vom Irish Baroque Orchestra, einem hervorragend disponierten Ensemble (Hörner!) unter der Leitung von Peter Whelan, das mit seiner unprätentiösen Frische Spaß macht und gute Laune verbreitet. Auch Charles wusste sehr wohl, was beim Publikum zog – und so sind es in der Mehrzahl Werke von Händel, darunter eine Satzfolge aus der Wassermusik und ein Concerto grosso (Op. 3/3), aber auch gegen Ende eine kleine Folge charakteristischer Einzelsätze (Telemann, Bocchi, Lully). Das Album ist so farbig wie der Abend damals gewesen sein muss. Darunter ist ein Concerto für Oboe, Chalumeau und Fagott mit Basso continuo von Johann Adolf Hasse, aber auch die Oboe d’amore ist zu hören. Einmal angekommen, möchte man so schnell nicht wieder aus dem Dublin jener Zeit ablegen.

Mr. Charles the Hungarian. Händel’s rival in Dublin
Georg Friedrich Händel. Ouvertüre zu Il Pastor Fido HWV 8c: Va tacito aus: Giulio Cesare HWV 17; Water Music (ed. John Walsh); Concerto grosso G-Dur op. 3/3 HWV 314; Johann Adolph Hasse. Concerto F-Dur; Signora Barbarini’s Minuet aus: Concerto op. 4/1; Georg Philipp Telemann. Napolitana TWV 41:B4; Lorenzo Bocchi. Sonata X; Mr. Charles. Chasse aus: Suite Nr. 1; Jean-Baptiste Lully. Marche pour la Cérémonie des Turcs aus: Le Bourgeois gentilhomme
Irish Baroque Orchestra, Peter Whelan

Linn CKD 718 (2022)

HörBar<< Malcolm Arnold –The Padstow Lifeboat

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden - entweder täglich oder mit den Rezensionen der vergangenen Woche am Sonntag.

Liste(n) auswählen:
DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 2 von 2 in Michael Kubes HörBar #165 – Schiffe

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden.