
Bei der sehr eigenen, beinah ikonischen Musik von Arvo Pärt stellt sich oft die Frage: Wann war die erste Begegnung? Ich selbst kann mich noch gut daran erinnern, wie ich „Fratres” zum ersten Mal hörte – als Musik zu einem Abspann eines Dokumentarfilms(?) in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Das war auch die Zeit, in der seine Musik im Tintinnabuli-Stil, die ganz in sich ruhend wirkt, fast wie ein Ausdruck der Zeit wirkte. Das ist freilich längst Vergangenheit – doch wer die bei ECM erschienenen CDs mit Paul Hillier etc. im Ohr und Herzen hat, für den besteht gewissermaßen eine lebenslange Referenz. Entsprechend ist bei anderen, jüngeren Interpretationen eigene Vorsicht geboten, so auch bei diesem Album mit der 1982 entstandenen Vertonung der Johannes-Passion.
So auch bei diesem Album mit Passio – der 1982 entstandenen Vertonung der Johannes-Passion. Sie erscheint im Vergleich wärmer und musikalischer. Wo die Ersteinspielung auf erratische Chor-Blöcke und eine aus Kühle wachsende Ästhetik setzte, ist es hier (akustisch unterstützt) eine mehr fragende Linie, die die Unsicherheit gegenüber der Geschichte und dem Glauben ausdrückt. Mich überzeugt das nicht vollständig, aber er stellt eine andere interpretatorische Lesart dar. Und genau darauf kommt es am Ende an: sich der eigenen Vorlieben und ihrer Voraussetzungen bewusst zu werden, anderes zuzulassen und zu verstehen. Davon lebt nicht nur die Musik vergangener Jahrhunderte, sondern auch die Musik der Gegenwart – einer Gegenwart, die allerdings schon 43 Jahre zurückliegt.
Arvo Pärt. Passio
Passio Domini Nostri (1982)Sampo Haapaniemi (Bariton), Martti Anttila (Tenor), Linnéa Sundfær Casserly (Sopran), Sirkku Rintamäki (Mezzo), Mats Lillhannus (Tenor), Jussi Linnanmäki (Bass-Bariton), Jan Lehtola (Orgel), Laura Vikman (Violine), Anni Haapaniemi (Oboe), Marko Ylönen (Violoncello), Mikko-Pekka Svala (Fagott), Helsinki Chamber Choir, Nils Schweckendiek
BIS Records BIS-2612 (2020)












