1. Juli 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

forgotten word

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Valentin Silvestrov (*1937) verfolgt seit Jahrzehnten eine ganz eigene Ästhetik, die zunächst die einstige Avantgarde schockierte, die heute aber mit ihrer neoromantischen Attitüde äußerst aktuell anmutet und als zeitgenössisch verstanden wird. Dazwischen liegt ein halbes Jahrhundert, in dem kulturell wie politisch viel, sehr viel geschehen ist. Die alten Kämpfe müssen nun nicht neu entfacht werden – zumal Silvestrovs Sprache und Grammatik in sich konsistent sind und darüber hinaus für andere stilbildend wirkten. Und dennoch verblüfft es immer wieder, wie Silvestrov an Schumann etc. anknüpft, manches fortschreibt, anderes neu gestaltet. Davon zeugt auch dieses Album mit einzelnen Stationen dieses Wegs…

Der Titel ist dabei dem letzten Lied aus dem elfteiligen Liederzyklus Stufen und den Versen von Osip Mandelstam entnommen – und könnte als Motto über allen hier eingespielten Werke stehen. Dennoch stellen sich dem aufmerksamen Hörer und Leser einige Fragen: Dem Lied (wie dem Liederzyklus insgesamt) liegen russische Verse zugrunde, in die Tracklist im Booklet werden diese aber nur (!) in deutscher Übersetzung angezeigt («Das Wort bleibt ungesagt, ich find’s nicht wieder»), die betreffenden Verse werden im (übersetzten) Essay anders wiedergegeben («I Have Forgotten the Word I Wanted to Say»). Prüfen lässt sich das nicht sofort, denn der Produktion sind die Liedtexte weder im gesungenen russischen Original noch in einer Übersetzung beigefügt (oder aufbereitet digital verfügbar). Das aber nun führt mich zur Ästhetik zurück, die auf diese Weise vom Wort unberührt bleibt, bei der Vokale und Konsonanten nur zum klanglichen Ereignis werden. Die Interpreten wurden dicht aber nicht unmittelbar eingefangen, die Akustik entspricht den Werken mit einer recht warmen, aber auch distanzierten Nähe.

forgotten word I wished to say
Valentin Silvestrov. Kitsch-Musik (1977) für Klavier; «Stufen», Liederzyklus für Sopran und Klavier (1981–1997), Drei Stücke für Klavier op. 204 (2012); Zwei Stücke für Klavier (2023)
Viktoriia Vitrenko (Sopran), Alexei Lubimov (Klavier)

Sony 019658857032 (2023)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 2 in Michael Kubes HörBar #160 – forgotten music

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