28. April 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Carl Frühling

Carl Frühling
Carl Frühling
Unbekannt verzogen. So oder ähnlich ergeht es einem, wenn man nach weiterführenden Informationen über Carl Frühling (1868-1937) sucht. Valide Daten und Dokumente zu seinem Leben sind rar und schwer zu finden – eine Aufgabe für die Zukunft, dem konservativen Komponisten mit Kontakten zum späten Brahms-Umkreis eine klarere Physiognomie zu geben. Denn offenbar hat Frühlings selbst (wohl aus Furcht vor dem damals allgegenwärtigen Antisemitismus) Spuren verwischt. So gibt er selbst als Geburtsort nicht Lviv (Lemberg), sondern seine Wahlheimat Wien an. Später verschwimmen seine Spuren ganz. Von seinen Werken ist heute kaum noch etwas vorhanden, nachweisbar, zugänglich oder gar eingespielt. Hier nun setzt das Album mit dem umtriebigen Oliver Triendl an.

Vom Klavierquintett fis-Moll op. 30 ist neben einer (späteren) Druckausgabe ein Autograph aus dem Jahr 1892 überliefert; das wohl nur wenig später entstandene Klavierquartett D-Dur op. 35 hat sich im Nachlass des zuletzt in New York beheimateten legendären Flonzaley Quartetts erhalten (auch dies eine Kuriosität der Überlieferungsgeschichte). Stilistisch ist die unmittelbare Nähe zu Brahms und seinem Umkreis spürbar – melodisch, harmonisch, aber auch durch die charakteristische, in sich gekehrte Melancholie. Doch gerade dort, wo andere durch den Formenkanon stolpern, scheint Carl Frühling am originellsten: in Scherzo und Finale. Gerade die letzten Sätze wirken verblüffend frisch und unverbraucht, während die Kopfsätze trotz ihrer Tonalität kaum aus dem Kreis ausbrechen. – Was bleibt also von diesem Album? Es ist vor allem musikalisch hervorragend eingespielt. Was aber das weitere Schaffen Carl Frühlings betrifft, so liegt noch vieles im Dunkeln. Die vorliegende Entdeckung scheint jedenfalls ein wichtiges Puzzlestück zu sein.

Carl Frühling. Klavierquintett fis-Moll op. 30; Klavierquartett D-Dur op. 35
Oliver Triendl (Klavier), Daniel Giglberger (Violine), Nina Karmon (Violine), Roland Glassl (Viola), Floris Mijnders (Violoncello)

hänssler classic HC 21062 (2020/21)

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 1 in Michael Kubes HörBar #153 – Blumen

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