16. April 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Aumann / Ars Antiqua Austria

Aumann / Ars Antiqua Austria
Aumann / Ars Antiqua Austria
Was für diese Einspielung an handschriftlichen Quellen mühsam, mit allerlei Recherchen aber auch Finderglück aus mehreren Klosterbibliotheken zusammengetragen wurde, liest sich im Booklet wie eine spannende Geschichte – eine Geschichte zumal, die nur durch die beharrliche und akribische Arbeit des RISM und seiner zahlreichen dezentralen Mitarbeiter:innen möglich wurde. Denn was nützen heute die vielen kleinen und großen Klosterbibliotheken, wenn die musikalischen Bestände nicht vergleichbar erschlossen sind? Gerade hier besteht doch endlich die Chance, durch umfassende digitale Verzeichnisse und Incipits einen nachhaltigen und dauerhaften Zugang (wenigstens zu den Nachweisen) zu schaffen. Ohne diese Möglichkeit wäre wohl auch das knapp zweistündige, spätbarocke Passionsoratorium von Franz Joseph Aumann (1728–1797) auf absehbare Zeit (oder Jahrzehnte, vielleicht noch länger) unerkannt im Regal liegen geblieben.

Was Gunar Letzbor hier mit Solisten und dem Ensembles Ars Antiqua Austria eingespielt hat, wirft ein interessantes Licht auf die katholische Kirchenmusik zum Karfreitag in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Auch wenn die Quellen keine genauere Datierung zulassen, so verbietet sich auf jeden Fall der im Essay vorgenommene Vergleich mit den viel früher entstandenen Bach’schen Passionen. Mit Bibelworten (Rezitativen) und hochdramatischer madrigalischer Dichtung markieren sie eine ganz andere Form der Passion; viel eher dürfte wohl Karl Wilhelm Ramlers Dichtung vom Tod Jesu in der Vertonung von Carl Heinrich Graun (Berlin, 1755) heranzuziehen sein. Auch bei Aumann sind es poetische Verse, die durch die Personifizierung von Glaube, Hoffnung und Liebe sowie des Sünders die Gemeinde im Sinne der Gegenreformation emotional zu erreichen suchen. Solistisch (und damit aufführungspraktisch adäquat) besetzt, gelingt dies für heutige Ohren allerdings nur bedingt – auch weil die hinzugezogenen Stimmen von den St. Florianer Sängerknaben die ihnen zugedachte Rolle nicht ganz ausfüllen können (ein Problem, an dem schon vor Jahrzehnten die Maßstäbe setzende Bach-Kantaten-Einspielung unter Nikolaus Harnoncourt litt und über weite Strecken bis heute leidet). Und doch: Dieses Sepolcro aus St. Florian mutet wie einer der wenigen Höhepunkte einer kirchenmusikalischen zunehmend problematischen Zeit an.

Franz Joseph Aumann. Oratorium de Passione Domini nostri Jesu Christi
Alois Mühlbacher (Altus), Markus Miesenberger (Ternor), Alexandre Baldo (Bass), Fabio Alves Pereira (Sopran), Kendrick Nsambang (Sopran), Ars Antiqua Austria, Gunar Letzbor

Accent ACC 24405 (2023)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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