26. März 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Schwarzer – New Recorder Concertos

Schwarzer – New Recorder Concertos
Schwarzer – New Recorder Concertos

Die Blockflötenliteratur mit Orchester ist nicht so gerade beeindruckend vielfältig. Gerade die Zeit, die für das symphonische Repertoire in der Konzertöffentlichkeit die größte Rolle spielt, kennt kaum Werke für größere Ensembles oder gar Orchester und Blockflöte(n). Das ändert sich langsam. Das Album mit «New Recorder Concertos» mit dem Solisten Jeremias Schwarzer wartet auf mit vier bekannten Orchestern und ebenso bekannten Dirigenten: das Münchener Kammerorchester (Alexander Liebreich), das SWR Symphonieorchester (Rupert Huber), die Bamberger Symphoniker (Jonathan Stockhammer) und das Ensemble Resonanz (Peter Rundel). Die Blockflöten sind angekommen?

Wenn es nur so einfach wäre, das Repertoire durch neue Werke aufzufüllen. Denn das Schicksal vieler neuerer Kompositionen ist ja, dass deren Präsenz nicht automatisch mit ihrer Existenz einhergeht. Das dürfte auch für die vier auf diesem Album versammelten Werke gelten. Mit knapp 13 bis 19 Minuten Dauer gehören sie in die Standard-Kategorie neuerer neuer Musik. Damit sind gewisse Spannungsbögen und -längen mitgesetzt.

So denkt man bei «The Guest» von Liza Lim doch in der letzten Hälfte, ob da nicht vielleicht ein musikalischer Schlenker zu viel reinkomponiert wurde. Dabei ist diese Komposition diejenige, die mit dem größten symphonisch-konzertierenden Anspruch von den vier präsentierten Stücken hier antritt. Ein großes Werk, das von Anfang an klarstellt, dass es Raum und Zeit benötigt. Es sprudelt voller Farben und Raumtiefen.

Bei Dai Fujikuras «Recorder Concerto» wird das Spielmaterial zu Beginn so virtuos positioniert, dass es kaum über die ganzen 13 Minuten in gleichem Maße auf diesem Niveau zu halten ist. Aber es gelingt ihm durch Wechsel der Flöten, zumal wenn das Sopranino zu Einsatz kommt, neuere Klangwelten eigener Substanzialität aufzudecken und das Stück im Fluss zu halten. Iris ter Schiphorsts «Whistle Blower» zerfällt mit seiner Materialmixmacht im Rhapsodischen.

Das doch stärkste Werk ist «Madjnun» von Samir Odeh-Tamimi, bei dem auch die Frage nach dem Solo-Konzert ganz anders gestellt ist. Orchester und Solist treten hier recht eigentlich als Duo auf, konzertieren gleichberechtigt gegen- und miteinander. Das wirkt recht skulptural, weil der Orchesterpart deutlich geräuschhafte Anteile aufweist, bei denen die Einzelereignisse sich zu eigenen Gesten zusammenbinden. Das hält über den ganzen Stückverlauf an. Bei Odeh-Tamimi kann sich auch die halsbrecherische Virtuosität von Jeremias Schwarzer im Solopart auf eine sehr direkte Weise entfalten und austoben.

Diese CD schließt eine Lücke und macht sie zugleich offenbar, denn der Aktualitäten-Zyklus wird immer schneller, so dass alte Werke schon veralten, wenn sie nur gerade 15 Jahre alt sind. Sie sind fast nicht «etablierbar», wenn sie nicht selbst modisch werden, wie manches aus der Szene der repetitiven Musik oder von Großmeistern der Neuen Musik. Damit wird die Angelegenheit musikgeschichtlich dialektisch. Obwohl es rein faktisch immer Neue Musik an sich gibt, wird sie doch zugleich immer seltener auf längere Dauer im Bewusstsein gehalten. Sie verschwindet häufig schon während ihres Erscheinens.


Jeremias Schwarzer – New Recorder Concertos [2025]

  • Samir Odeh Tamimi: Madjnun for recorder and orchestra (2009). Jeremias Schwarzer, recorder, Munich Chamber Orchestra, Alexander Liebreich, conductor. (Live Recording of the premiere performance, November 19th 2009, Prinzregententheater Munich. Commissioned by Kunststiftung NRW. Publisher: G. Ricordi & Co. Bühnen-und Musikverlag GmbH, Berlin)
  • Liza Lim: The Guest (2010) recorder concerto, for solo recorder and orchestra. Jeremias Schwarzer, recorders (Baroque alto, Tenor Ganassi, Bassett recorders) SWR Symphony Orchestra Baden-Baden and Freiburg, Rupert Huber, conductor (Live Recording of the premiere performance at Donaueschinger Musiktage, October 15th, 2010. With kind permission of SWR Commissioned by Donaueschinger Musiktage. Publisher: G. Ricordi & Co. Bühnen-und Musikverlag GmbH, Berlin)
  • Dai Fujikura: Recorder Concerto (2010). Jeremias Schwarzer, recorders (Tenor, Sopranino and Bassett recorders). Bamberg Symphony, Jonathan Stockhammer, conductor. (Live Recording Bamberg, March 9th, 2021. Mixing and editing by Dai Fujikura. The performance was part of the digital project “Clear the stage-for the recorder” created by Jeremias Schwarzer and Bamberg Symphony 2021. Commissioned by Kunststiftung NRW. Publisher: G. Ricordi & Co. Bühnen-und Musikverlag GmbH, Berlin)
  • Iris ter Schiphorst: Whistle Blower (2021) for amplified solo recorder, sampler and string orchestra. Jeremias Schwarzer, recorder, Ensemble Resonanz, Peter Rundel, conductor. (Live Recording of the premiere performances, June 2nd, 2021, Elbphilharmonie, Hamburg. Recording, mixing and editing by Sebastian Schottke. Commissioned by Kunststiftung NRW. Publisher: Boosey and Hawkes Bote und Bock GmbH, Berlin)
  • New Focus Recordings, fcr430 (VÖ 14.03.2025)

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden..