22. Januar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Saint-Saëns / Cecilia Zilliacus

Saint-Saëns / Cecilia Zilliacus
Saint-Saëns / Cecilia Zilliacus
Vielleicht ist Camille Saint-Saëns (1835–1921) der (un)französischste Komponist unter seinen französischen Kollegen. Seine Sinfonien und Sonaten sprechen eine ganz eigene Sprache – und huldigen nicht dem damals weit verbreiteten Wagnérisme. So auch die beiden hier eingespielten Sonaten von 1885 und 1896, die mit einer wunderbar klassizistischen Attitüde eine Klarheit in Struktur und Klang aufweisen, für die man Jahrzehnte zurückgehen muss. Sie wirken daher auch heute noch aktuell, entlasten das Ohr, von kommen zum Kern. Etwas, wo-mit Saint-Saëns in der Öffentlichkeit freilich auch zu kämpfen hatte. Über seine zweite Sonate notierte er noch 1919 (nach dem Ersten Weltkrieg und noch in Vollbesitz schöpferischer und interpretatorischen Fähigkeiten) an seinem Verleger: «Ich spiele diese Sonate lieber selbst als sie von jemand anderem zu hören, der sie nicht nach meinen Vorstellungen spielt. Was ich bedauere, ist, dass ich nicht auch den Violinpart spielen kann.»

Saint-Saëns dürfte sich in dieser Hinsicht kaum von den meisten anderen Komponisten unterscheiden. Letztlich aber wird jedes Werk mit seiner Drucklegung in das eigene Leben entlassen – so auch hier. Cecilia Zilliacus nimmt die klaren Linien des Violinparts auf, durchdringt sie und lässt sie über weite Strecken fast zeitlos erscheinen, so zeitlos allerdings, dass die Interpretation ein wenig zu unspezifisch wirkt. Erst in den beiden Zugaben fängt sie wirklich an, auf ihrer Violine zu «singen» – interessanterweise zunächst in der Fantaisie op. 124 für Violine und Harfe aus dem Jahre 1907, dann in der hübschen Berceuse op. 38 von 1871. Hier klingt die Einspielung (auch in einer anderen Location) wärmer und stimmiger. Gerade diese beiden Werke zeigen, wie wenig wir noch immer über das Schaffen dieses von Unruhe getriebenen Komponisten wissen, der seine französische Musiksprache durch den Rückgriff auf Traditionen von jenseits des Rheins wie auch durch der Einbeziehung neuer Klänge aus Nordafrika bereicherte.

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strong>Camille Saint-Saëns. Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 d-Moll op. 75; Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 Es-Dur op. 102; Fantaisie A-Dur für Violine und Harfe op. 124; Berceuse op. 38 für Violine und Harfe (Arr. Stephen Fitzpatrick)
Cecilia Zilliacus (Violine), Christian Ihle Hadland (Klavier), Stephen Fitzpatrick (Harfe)
BIS BIS-2489 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 2 in Michael Kubes HörBar #144 – Violinsonaten um 1900

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