31. Januar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Heiner Goebbels – Orakelmaschine

Nachtbild. Foto: Hufner
Nachtbild. Foto: Hufner

Das ist hier jetzt auch bisher nicht passiert. Eine Rundfunkredaktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks versendet zum Vorhören eine Radioproduktion aus dem Bereich Hörspiel, Feature. Hier ist es ein Hörstück von Heiner Goebbels mit dem Titel «Orakelmaschine», das seine Erstsendung auf SWR Kultur am 1. Februar 2025 um 23:03 haben wird. Eine Woche später gibt es die Wiederholung beim coproduzierenden Deutschlandfunk Kultur. Ein bisschen länger als 51 Minuten ist die Dauer. Zum von Heiner Goebbels verwendeten Material wird informiert:

«So treffen Geräusche aus einem stillgelegten Stahlwerk im Saarland auf Stimmen heimischer wie fremder Fauna, historische Gesangsaufnahmen auf Mitschnitte elektroakustischer Improvisationen der Band ‚The Mayfield‘, deren Mitglied Heiner Goebbels ist. Und Texte spielen eine Rolle: einem Zitat aus Heiner Goebbels 1987 produzierten Hörspiel „Maelstrom-Südpol“ nach Prosa von Heiner Müller antworten Lieder aus Griechenland, Litauen und Kroatien in der Originalsprache. Dazu gesellen sich auf Deutsch O-Töne des Dichters Helmut Heißenbüttel und der Philosophin Hannah Arendt sowie ein Interview, das die Romanautorin Marguerite Duras auf Französisch führte. Als letztes Textsegment findet ein kurzer Erzählpart aus einem Werk des französischen Schriftstellers Maurice Blanchot hier Eingang.»

Heiner Goebbels ist ein Meister dieser eigenartigen Schnipselarbeit aus Eindruck, Ausdruck, Tiefsinn und Klangweiten mit wenig Orientierungsmitteln, nimmt man mal das fünfteilige Hörstück «Wolokolamsker Chaussee» dabei aus. Von der «Befreiung des Prometheus» und seinen impliziten Hörstücken aus der Zeit des Duos mit Alfred (23) Harth wie «Berlin – Q-Damm 12.4.1981» bis in dieses Orakelmaschinen-Schwergewichts geht es auch um die Befreiung, allerdings nicht mehr des Prometheus, sondern die Befreiung zu dieser unverbindlichen Verbindlichkeit. Die, auch politische, Aussage ist Ergebnis der Montagetechnik von Texten aus der Welt- und Menschheitsgeschichte. Das wirkt nicht direkt.

Wirkung durch Ahnung

Dieses Verfahren der Bildung von Ton-Text-Geräusch-O-Ton-Konstellationen zielt nicht auf Aktion oder eine Appell hin, sondern funktioniert wie bei einer Art chemischen Reaktion von Stoffen unter- und miteinander. Während aber in der Chemie daraus schlicht nur Neues entsteht, bildet sich hier etwas Ungefähres mit eigenartig präziser Position!

Das erweist den verwendeten Texten, O-Tönen, Musikdokumenten Respekt, es übernimmt zugleich aber auch deren Erscheinung als Ausdruck von Mensch und Klang. So ruft David Bennent einen Heiner Müller-Text aus «Maelstrom südpol», einem Hörstück, das Heiner Goebbels 1987 produziert hat. Es ist in der Art der Deklamation selbst längst ein historisches Dokument. Gleiches gilt für die Rezitationen von Helmut Heißenbüttel oder das Brecht-Zitat aus dem Mund von Hannah Arendt. Es kommt immer wieder zu solcherlei Spiegelungen, etwa wenn die Katzen da jammern, bevor aus Maurice Blanchots «Thomas, der Dunkle» unter dessen Rezitation Orgelklänge liegen, choralartig und doch unbestimmten Ausdrucks. So durchziehen dann auch die maschinischen Klänge aus der Völklinger Hütte das Hörstück-Material.

«Angefangen nicht redend mit Musik redend Musik
zitierend Musik vorschiebend
Musik unterschiebend
unterschiebend unterlegend unterstellend
vorschiebend unterschiebend unterlegend
unterstellend» (Helmut Heißenbüttel)

Viel Orakel, wenig Maschine

Es bleibt am Ende der von Heißenbüttel zu Beginn angesagten Sprechfelder die Rezitation eines Textes von Bert Brecht, gesprochen von Hannah Arendt:

«Wir brauchen keinen Hurrican, wir brauchen
keinen Taifun. Denn was er an Schrecken tun
kann, das können wir selber tun.»

Danach blendet sich in klangmelancholischer Ausschleichung die Musik ausdünnend über den Zeitraum einiger Minuten ab. Musikalische Nachdenkzeit!


Heiner Goebbels – Orakelmaschine [2025]

  • Musik: The Mayfield – Willi Bopp (sound), Camille Emaille (Perkussion), Gianni Gebbia (Saxophon), Heiner Goebbels (präpariertes Klavier), Cecile Lartigau (Ondes Martenot), Nicolas Perrin (Gitarre, Elektronik)
  • Komposition und Regie: Heiner Goebbels
  • Produktion: SWR / DLF Kultur 2025
  • Mit freundlicher Unterstützung des Weltkulturerbes Völklinger Hütte
  • Ursendung: 1.2.2025, 23:03 Uhr Swr Kultur „Ohne Limit“
  • Weitere Sendung am 7.2.2025 DLF Kultur
  • Dramaturgie/Redaktion: Manfred Hess

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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