Seit einigen Jahren stehen Komponistinnen und ihre Musik hoch im Kurs – auf Alben, im Konzertsaal, selbst bei Verlagen. Viele (Wieder-)Entdeckungen konnten gemacht werden, auch mediokre Partituren waren dabei (wie eigentlich immer, auch bei Komponisten). Ein großer Name tauchte bisher freilich kaum auf, auch nicht bei repräsentativen Konzertreihen oder innovativen Festivals: der von Grete von Zieritz (1899–2001). Aus Österreich stammend, fand sie bereits 1917 in Berlin ihre ideale Wirkungsstätte. Zwischen 1926 und 1931 besuchte sie die Meisterklasse von Franz Schreker, der damals ehrlich (aber für uns unbeholfen in der Wortwahl) bemerkte: «Schade, dass sie kein Mann ist. Sie wird es schwer haben.» Schreker sollte in doppelter Hinsicht recht behalten: Zum einen war es damals noch sehr ungewohnt, als Komponistin zu reüssieren; zum anderen gehörte sie einer Generation an, die seit den 1950er-Jahren von der radikalen Avantgarde und ihren Protagonisten an den Rand gedrängt wurde. Ich kann mich dunkel an eine erste Begegnung mit ihrer Musik in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erinnern – möglicherweise beim Abhören einer Schallplatte. Ob es damals die beste Interpretation war, würde ich heute bezweifeln…
Umso spektakulärer ist diese bei hänssler classic erschienene Produktion mit drei Werken aus drei Lebensaltern in chronologischer Reihenfolge. Es sind Kompositionen von bester, ja herausragender Qualität. Im Booklet titelte Michael Wittmann dazu Erstklassige Musik aus der zweiten Reihe. Nach meinem Verständnis ist das missverständlich formuliert – denn das musikhistorische Podium ist um etliche Meter breiter geworden, nachdem die Vielfalt der Sprachen und Möglichkeiten zwischen den Weltkriegen und darüber hinaus ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist. Den Anfang machen Japanische Lieder für Sopran und Klavier (1919), hier in einer beglückenden Kammerorchesterfassung aus den 1980er Jahren. In zehn Nummern knapp und pointiert formuliert, erinnern sie eher an Hindemiths hochexpressive Gesänge op. 9 (1917) als an romantische Strauss-Partituren. Eine Komposition, die in ihrer Eindringlichkeit und Farbigkeit sofort gefangen nimmt. Das gilt auch (und doch anders) für Le Violon de la Mort, ein Duo concertante für Violine, Klavier und großes Orchester (1953/57), das ebenfalls erst später instrumentiert wurde. Die ganz eigene Motorik und Kraft zeigen, wie selbstbewusst und unbeschadet Grete von Zieritz die schwierigen zwölf Jahre an der Spree mit nur unauffälligen Anpassungen überstanden hat. Dennoch wirkt dieser Totentanz wie aus einer anderen Zeit. Das jazzige Doppelkonzert für 2 Trompeten und Orchester (1975) lebt von der Lust an der Musik und ist nicht Ausdruck eines philosophischen Spätwerks. – Alle Interpretationen rücken die Werke ins beste Licht und machen Lust, Grete von Zieritz als große und ungewöhnlich eigenständige Komponistin zu entdecken, deren Œuvre mangels damaliger Aufführungsmöglichkeiten eher den kleinen und mittleren Besetzungen verpflichtet blieb.
Grete von Zieritz
Japanische Lieder für Sopran und Kammerorchester (1919); «Le Violon de la Mort». Duo concertante für Violine, Klavier und großes Orchester (1953/57); Doppelkonzert für 2 Trompeten und Orchester (1975)
Sophie Klussmann (Sopran), Nina Karmon (Violine), Oliver Triendl (Klavier), Jeroen Berwaerts (Trompete), Andre Schoch (Trompete), Robert-Schumann-Philharmonie, Jakob Brenner
hänssler classic HC 23065 (2023)