«3 CDs mit 45 Titel – von seltenen Schellack-Aufnahmen über Sketche, Parodien und Werbeplatten bis zum Schlager und Gassenhauer», verspricht ein «72-seitiges Hardcover-Buch mit Hintergrund-Informationen und zahlreichen Illustrationen» (Fotos, Anzeigen, Plattencover) – und erläuternden Texten von Jens-Uwe Völmecke, Günter Neumann und Rüdiger Bloemeke. Muss man mehr dazu sagen?
Ja, klar: Die drei Autoren, offensichtlich verkommene Liebhaber einer schwarzen Musikgeschichte auf jeweils zwei Rillen nähern sich liebevoll und kenntnisreich einer Musikwelt an, die tatsächlich eine Scheibe ist. Dabei legen sie kein wissenschaftliches Werk vor, sondern Beobachtungen an den Huldigungkult des Tongottes Schallplatte, der hier bis in die 60er-Jahre hineinreicht und dabei viele Facetten einer deutschen und späteren deutsch-deutsch-österreichischen Geschichte sozial-akustisch mit Blick auf die dahinter stehende Ökonomie der Musikindustrie reflektiert.
Zu beobachten ist dabei, wie der Kult zum modernen Mythos mutiert und aller Selbstreflexion bar, sich selbst feiert (wie es auch der Nebentitel dieser Publikation, mit drei allerdings silbernen Scheiben im Digitalformat der CD, selbst zugibt). Das darf man, das soll man, das muss man auch. Nur so ergibt es einen Sinn, wo sonst alles in geradezu quälender Selbstkontrolle erstickt, oder in, was noch schlimmer ist, hemmungsloser Verblödung das Elend evoziert.
Interessant wäre es vielleicht noch, zu erfahren, warum diese Geschichte Mitte der 60er-Jahre dann abbricht. Ist aus dem Kultgegenstand etwa ein bloßer Konsum- und Gebrauchsartikel geworden? Ist die Schallplatte als Instrument zwischenmenschlicher Anbahnung passé?
«Das wird Sie interessieren – Musik für jedes Händlerohr»
Kann man eine Zeit und ihre medialen Manifestationen auf diese Weise retten? Die Antwort fällt zweigeteilt aus: Ja und Nein. Da ist so wenig zu retten wie ein Toast Hawaii und Ja: Hier gibt es Erinnerungsschübe in eine Vergangenheit hinein, die nur wenige von uns tatsächlich noch erlebt haben dürften.
«Wenn ich diese Platte spiel‘, dann läuft die Zeit zurück. Jeder Ton erzählt so viel von verklungnem Glück. All die schönen Stunden der Vergangenheit, werden für Sekunden wieder Wirklichkeit», singt beispielsweise Lale Andersen im Jahr 1965 mit einem Text von Günter Neumann, während die Musik selbst jene Dixie-Kapellen-Musik spielt, die da konträr zum Tonfürton-Gesang wuselt. Das hat man so gemacht, es hat sich in den 60er-Jahren wohl bezahlt gemacht. Oder wie der Platten-Jockey eine Chris Howland, der vollkommen freidreht und dabei «prominente Orchester» präsentiert.
«Schallplatten, die neueste Mode», singt auf dem ersten Track der ersten CD Willy Prager mit Rudolf Nelson, Peter Kreuder und Erich Ziegler an drei Flügeln mit einem Text von Friedrich Holländer aus der Revue «Das spricht Bände» am 16. Oktober 1929 im «Beethoven-Saal zu Berlin» und setzt damit gleich ein vokales und musikalisches Niveau im Hinblick auf Rhythmus-Zauber und Witz, das kaum mehr auf den restlichen 44 Tracks dieser mehrmedialen Publikation zu überbieten sein wird.
Ja, so spiegelt sich die Gesellschaft ihrer Zeit in den Klangkernen der populären Kunstwerke wider und bewahrt darin eine historische Wahrheit auf. Das klingt hier auf den drei CDs immer mit. Die zugehörige Publikation ist reichhaltig illustriert und darin auch Zeit-Dokument aus Köstlich- und Kostbarkeiten. Alles mit Liebe zu Details und Sinn für Duft umgesetzt, aber ohne moralische Flutschfinger – auch wenn in vielen Zeiten «Heiterkeit und sehr viel Fröhlichkeit» gebraucht werde, wie es bei «Ro-ro-ro-ro-Robinson» mit Cornelia Froboess 1954 heißt.
Schallplatten – die große Mode: Ein Medium feiert sich selbst [2024]
Eine Beschreibung der Geschichte der Schallplatte mit 45 Beispielen auf drei CDs.Hardcover, 72 Seiten, ISBN-13: 978-3-00-079407-0, Maße: 26 × 21 cm, 450 gr, Verlag: andmorebears, VÖ: 1.7.2024